Der Dichter der Moderne
Rilke bewegt und ist für viele Menschen ein wichtiger Begleiter. Seine Gedichte gehören zur Schullektüre, und der amerikanische Pop-Star Lady Gaga hat sich einen Spruch Rilkes auf den Arm tätowieren lassen. Rainer Maria Rilke (1875–1926) steht in der Weltliteratur hoch oben und erlebt jetzt eine Renaissance.
Trotz seiner Popularität bleibt Rilke in vielem rätselhaft. Rüdiger Schaper legt in seiner nun vorgelegten Biografie bislang unterbelichtete Aspekte des großen Dichters offen. So beispielsweise den Einfluss der Bildenden Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, des Modernen Tanz' oder der Musik auf ihn. Rilke gehört zur Avantgarde wie seine Zeitgenossen Gertrude Stein, Kurt Schwitters und T. S. Eliot. Er schrieb den ersten europäischen Großstadtroman und schuf Gedichtzyklen von sinfonischem Rang, die immer wieder überraschen. Es gibt bei ihm noch viel zu entdecken!
Anlässlich der runden Jubiläen zu Geburtstag und Todestag des Dichters betrachtet Rüdiger Schaper in seiner fulminanten Biografie das Leben und Schaffen Rilkes neu und lässt ein zeitgemäßes Bild dieses Menschen und seiner Kunst entstehen.
Ein Gespräch mit dem Kritiker Rüdiger Schaper
Lieber Herr Schaper, aus dem Nachlass der Rilke-Erben an das Literaturarchiv Marbach ist nun der – knappe – Briefwechsel zwischen Rilke und Sigmund Freud veröffentlicht worden, die sich wenige Male tatsächlich getroffen haben. Wäre Rilke heute mehr ein Fall für eine Psychoanalyse oder für den Klagenfurter Bachmann-Preis – oder aber für beides?
Rüdiger Schaper: Da denke ich lieber gleich an den Nobelpreis. T. S. Eliot und Bob Dylan haben ihn auch bekommen. Im Übrigen gehört Bachmann-Preisträger Rainald Goetz zu den großen Rilke-Fans. Und Rilke hatte einmal bei einer Lesung in Wien heftiges Nasenbluten und machte weiter, er war ein großartiger Performer.
Sie zeigen eindrücklich, wie sehr Rilke – vor allem bis 1910 in Paris – die unterschiedlichsten modernen Kunstströmungen seiner Zeit aufgenommen hat. Welche Künste hat er besonders in sich aufgesogen?
Rüdiger Schaper: Die Malerei von Cézanne hat ihn umgehauen und stark beeinflusst! Eine entscheidende Rolle in Rilkes Anschauung spielte der Moderne Tanz, der damals von starken Frauen wie Isadora Duncan und Loie Fuller entwickelt wurde. Über seinen Freund, den Bildhauer Rodin, kam Rilke dazu. Tanz ist ein wiederkehrendes Motiv seiner Dichtung, wie die Musik. Das wird oft übersehen. Rilke ist der Komponist der Sprache.
Heute gilt Rilke meist als ‚Wohltöner‘, mit den schönsten Versen deutscher Sprache. Sie bezeichnen ihn als ‚Propheten der Avantgarde‘. Was war das radikal Neue in seiner Dichtung?
Rüdiger Schaper: Rilke befreit Sprache und Dichtung und geht in den autonomen Klang, wie seine Zeitgenossen Gertrude Stein und Kurt Schwitters. Da stellt sich nicht mehr die alte Frage nach dem „Sinn“. Sein Gedicht ist ein selbstständiges, selbstbewusstes Wesen, frei in der Bewegung in Raum und Zeit. Rilke inspiriert Lyrik international, er wird immer wieder frisch übersetzt. Wir erleben eine Rilke-Renaissance.
Welches Rilke-Zitat hat Mega-Star Lady Gaga eigentlich als Tattoo auf ihrem Arm?
Rüdiger Schaper: Es stammt aus den „Briefen an den jungen Dichter“ und handelt von der Notwendigkeit zu schreiben und kreativ zu sein. Es ist unglaublich, in New York sah ich kürzlich in jeder besseren Buchhandlung Rilke-Ausgaben.