BuchbesprechungBlick in den Spiegel

Ein Kulturgeograf erzählt die Kulturgeschichte des Menschen als Geschichte der Entfremdung von der Natur.

Der Titel ist Programm: Wie konnte es zu dieser Entzweiung zwischen Mensch und Natur kommen, die die planetarische Zukunft aller gefährdet (schon die Formulierung spiegelt den Dualismus, als wäre nicht auch der Mensch Natur!)? Warum ging die Achtung vor der Mutter Erde verloren, die Ehrfurcht vor dem Leben? Warum kommt es zum „Aufstand der Dinge“? Wie wurde aus dem homo erectus et sapiens der Ausbeuter und Zerstörer?

Dass der Mensch sich seine Lebensräume real- und kulturgeschichtlich erkämpfen muss und musste, darf als Binsenweisheit gelten. Paradiesische Harmonie gab es nur in der Idealisierung fiktiver Anfänge und Zielgeraden, dazwischen freilich höchst unterschiedliche Konstellationen. Es ist faszinierend, wie detail- und kenntnisreich der emeritierte Professor für Kulturgeografie den immensen Stoff dieser ökologischen Globalgeschichte in acht gut lesbaren Kapiteln bändigt. Nicht minder beeindruckend ist, wie konsequent und zielstrebig er stets die Leitfrage im Auge behält. Natürlich gibt es darauf keine simple Antwort, aber Bätzing sieht mit guten Gründen doch eine Entwicklung, die mit den alten Griechen beginnt und fortschreitend zum abstrakten Denken führt. Damit aber wird die äußere und innere, die konkrete und abstrakte, die materielle und ideelle Natur nicht nur unterschieden, sondern faktisch getrennt, und das mit schier dualisierender Schärfe.

Dass mit dem Neolithikum und der Sesshaftwerdung eine zunehmende Distanzierung von Stadt und Land begann, ist im Prinzip längst bekannt. In Jäger-Sammler-Gesellschaften gab es eine einvernehmlich natürliche Ordnung noch, und auch in egalitären Bauerngesellschaften blieb das Freundschaftsverhältnis von Mensch und Tier, von Mensch und Natur noch bestimmend. Aber mit den aufkommenden Stadtstaaten und Großreichen wurde das Verhältnis zur Natur distanzierter und schon „vernutzender“. Buchstabenschrift, Münzgeld und die philosophische Höherschätzung der idealen Welt gegenüber der realen brachten einen Riss in die bis dahin ungetrübte eine Wirklichkeit, der Drive zum Dualistischen wird in dieser Achsenzeit grundgelegt. Der biblische Monotheismus trug seinerseits Unterscheidungs-, ja Trennungslinien ein, die spätestens seit ihrer Auslegung mit Hilfe griechischer Philosophie zu Diesseits- und Jenseitszerklüftungen führten. Welt und Natur wurden zunehmend „gottlos“ gedacht, wertloser gegenüber der inneren und jenseitigen wahren Welt – sie konnten genutzt und ausgebeutet werden. Die frühmoderne Philosophie seit Descartes sieht dann das denkende Individuum vollends im Mittelpunkt, allem anderen herrscherlich und selbstherrlich gegenüber. Mit den Industriegesellschaften des 19. Jahrhunderts beginnt die Verabsolutierung der Wirtschaft, der allgegenwärtige Wachstumszwang als Selbstzweck. Die Dienstleistungsgesellschaften seit Ende des Zweiten Weltkriegs reduzieren uns Menschen auf Konsumenten mit künstlich ständig gesteigerten Bedürfnissen, für deren Befriedigung es zu bezahlen gilt. Produzieren, Konsumieren – und immer mehr.

Die spannend zu lesende Genealogie der heutigen Welt- und Klimakrise wird zum bedrängenden Aufruf zu Ein- und Umkehr – ein nachdenklich selbstkritischer Blick in den Spiegel der eigenen Geschichte(n). Nicht zuletzt das gesamte christliche und kirchliche Erbe bedarf der Revision. Was nottut, ist zum Beispiel eine theologische Grundlegung von Mitgeschöpflichkeit als elementarer Dimension aller Glaubensinhalte und -aussagen.

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