Religion und PolitikStörungsanfälliges Verhältnis

„Die Kirche ist hierarchisch, nicht demokratisch“, verkündete unlängst Kardinal Mark Ouellet anlässlich des Synodalen Weges. In jedem Fall befindet sich die Kirche im Speziellen und Religion im Allgemeinen in einem Spannungsfeld zur modernen Demokratie, das Otfried Höffe in seinem Essay ausleuchtet. Der Titel freilich führt in die Irre. Nicht die Demokratiefähigkeit des Allerhöchsten wird untersucht, der Philosoph Höffe beschäftigt sich vielmehr mit der möglichen Kompatibilität religiöser Überzeugungen mit dem säkularen, demokratischen Staat. Und zwar ausschließlich mit seiner modernen Form, bei Höffe leicht irritierend „konstitutionelle Demokratie“ betitelt. Leider unterscheidet der Autor nicht konsequent zwischen Staats- und Regierungsform.

Frühere Formen von Demokratie, angefangen bei den Griechen, spielen für Höffe kaum eine Rolle. Auf der anderen Seite liegt ihm daran, aufzuzeigen, dass der Weg in die säkulare Moderne keine Progressionsgeschichte hin zu einer Entzauberung der Welt war. Vielmehr gab es schon in der klassischen Antike säkulare Überlegungen, religionslose Ethiken und Weltanschauungen, die ohne transzendenten Unterbau auskamen. Diese zögen sich bis zur Neuzeit durch. Insbesondere Thomas von Aquin und Immanuel Kant widmet Höffe dabei detaillierte Ausführungen. Der Autor bezieht hierbei den Begriff „Religion“ und dessen gesellschaftliche Rolle, ebenso wie im Fall der Demokratie, vornehmlich auf die moderne Lesart.

Der Essay ist von großer sozialphilosophischer Gelehrsamkeit geprägt. Mitunter überzeugt die thematische Gewichtung der einzelnen Abschnitte für das Gesamtvorhaben aber nicht. Die Behauptung beispielsweise, das Judentum akzeptiere die Theorie der „Erbsünde“, ist unzutreffend. Überzeugender gestalten sich die Ausführungen zur staatspolitischen und gesellschaftlichen Bedeutung von Religion, exemplarisch an der katholischen Soziallehre aufgezeigt. Der säkulare Staat, so Höffe, könne von den Religionen in großem Maße profitieren, ebenso wie auch die Religionen in der säkularen Moderne Chancen und Freiheiten genössen, die das Wagnis der Pluralität und Toleranz rechtfertigten. Das Verhältnis beider zueinander sei zwar „störungsanfällig“, aber kein fundamental diametrales. Wenzel Widenka

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Otfried Höffe

Ist Gott demokratisch?Zum Verhältnis von Demokratie und Religion

S. Hirzel Verlag GmbH, Hamburg 2022. 232 S. 24,00 € (D)