Kirche im GegenwindZwischen Minimum und Maßlosigkeit

Wer sich für die Geschichte der Diasporakirche zwischen Werra und Neiße interessiert, kommt an Josef Pilvousek nicht vorbei. Dem Erfurter Wissenschaftler geht es – wie der von Herausgeber Clemens Brotkorb klug komponierte Band demonstriert – weniger um kleinteilige Rekonstruktion, sondern eher ums Große und Ganze. So zeigt er etwa in seinem Aufsatz zu „25 Jahre Mauerfall“, wie sehr sich Katholikinnen und Katholiken für die Friedliche Revolution einsetzten – oft, indem sie auf die Zeichen der Zeit schneller reagierten als ihre Oberhirten.

In dem Kapitel „Wolfgang Trilling, Erfurt und der Katholizismus in der DDR“ spricht Pilvousek anhand des Neutestamentlers ein Thema an, das als Strukturelement zu begreifen (und weiter zu erforschen) ist: den Dualismus zwischen „Erfurt“ und „Berlin“. Trillings Forderung gegenüber dem in der „Hauptstadt“ residierenden Kardinal Alfred Bengsch, „dass die Ordinarienkonferenz von Berlin wegverlegt werden müsse, um mit den Problemen in der DDR überhaupt vertraut zu werden“, offenbart Konfliktpotenzial zwischen dem theologischen Zentrum Erfurt und seiner kirchenpolitischen Dominante Berlin. Trilling, der mehr Synodalität wagen wollte, gab seine Dozentur alsbald auf. Sein Weggang, so legt der Kirchenhistoriker nahe, sei ohne Einflussnahme „der Berliner“ kaum zu begreifen.

Wie Bischof Joachim Wanke in seiner „Einleitung“ schreibt, spiegelt der Band etwas von der „Buntheit“ des DDR-Katholizismus. Dass es neben vollem „Lebenseinsatz“ die Tendenz gab, sich mit einem Minimum an gesellschaftlicher Präsenz zu begnügen, illustriert Pilvousek in Bezug auf „Die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR (1973–1975)“. Sein Fazit: „Ihre Dokumente sind bis auf wenige Ausnahmen nicht rezipiert.“ Aber auch das Gegenteil ist nachweisbar. Das spannende Porträt von „Dr. Schimke“ trägt seinen Titel zu Recht: „Maßlosigkeit statt Enge“. Dieser Seelsorger agierte so konspirativ wie intellektuell, als es ihm ab 1968 gelang, ein „Theologisches Bulletin“ in einer Auflage von 1500 Exemplaren herauszugeben – geistige Nahrung für die Diasporakirche.

Es gelingt Josef Pilvousek, ein facettenreiches Bild des (post-)sozialistischen Diasporakatholizismus zu zeichnen. 

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