BuchbesprechungHelles Mittelalter gegen dunkle Moderne?

Das neue Buch von Sebastian Ostritsch über Gottesbeweise provoziert – und hätte eine Debatte verdient.

Nach intensiven Beratungen ist die Hochschulleitung zu der Einschätzung gelangt, dass unter den gegebenen Begleitumständen der intendierte akademische Diskurs über Gottesbeweise nicht mehr gewährleistet werden konnte, weil er von anderen Themen überlagert werden würde.“ Mit diesen Worten sagte die Münchner Hochschule für Philosophie einen Vortrag des Philosophen Sebastian Ostritsch ab. Dieser wollte sein unlängst erschienenes Buch über die Gottesbeweise des Thomas von Aquin vorstellen, hatte aber mit provokanten Äußerungen zu Abtreibung und zum Synodalen Weg den Unwillen einiger Studierenden erregt. Diese kündigten an, die Veranstaltung zu stören. Das sind also die „anderen Themen“, über die durchaus in einem inhaltlichen Kontext mit dem eigentlichen Vortragsthema hätte debattiert werden können. Aber die Debatte – oder disputatio in bester thomistischer Tradition – fand nicht statt und damit auch nicht die Vorstellung eines Buchs, in dem es um den Nachweis geht, dass der christliche Glaube vernünftig ist.

Souverän zeigt Sebastian Ostritsch die fünf Wege, mit denen Thomas von Aquin den Nachweis entwickelt, dass nicht nur nichts dagegen, sondern alles Sinnliche und Intellektuelle für die Existenz Gottes spreche. Das Bewegte verweise auf einen ursprünglichen Beweger (kinesiologischer Beweis), alle Bewegungen gingen auf eine Ur-Sache zurück (Kausalitätsbeweis), alles Vergängliche gehe auf ein aus sich heraus Seiendes zurück (Kontingenzbeweis), das mehr oder weniger Gute, Wahre und Schöne fuße in einem Optimum (Stufenbeweis) und schließlich die Zielstrebigkeit aller Naturdinge (Finalitätsbeweis). Aus all dem folge, dass es „ein singuläres, unveränderliches, körperloses, immaterielles, zeitlos-ewiges, transzendentes, vollkommen gutes und allmächtiges Wesen“ geben müsse – „mit einem Wort: Gott“.

Die von Thomas übernommene begriffliche Schärfe ist ebenso imponierend wie die strikte Darlegung der Argumente und die Herleitung des jeweiligen Beweises. Im Kontext des metaphysischen Ordo-Denkens zur Zeit Thomas’ von Aquin waren die Gottesbeweise sicherlich das solide Fundament einer gesellschaftlichen Hierarchie, in der es dem einzelnen Menschen zukam, Teil eines Ganzen zu sein – nicht ein autonomes Individuum, das in Freiheit sein Denken und Handeln verantwortet.

Und so wird klar, gegen wen bzw. welche Philosophie sich Sebastian Ostritschs Buch richtet – nämlich gegen Kants in der Kritik der reinen Vernunft geäußerte Statuierung des denkenden Individuums als „absolut notwendiges Wesen“ („Wenn etwas existiert, so muss auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen.“). Eine solche Individualität war für Thomas nicht denkbar. Mit Kant geraten Theologen ins Visier, die mit dem Unvermögen rechnen, „nicht mehr zu wissen, ob tatsächlich der Gott, den man wohl glauben möchte, existiert“. Dieser Zweifel, Folge der Auseinandersetzung mit Leibnitz’ fragwürdiger Behauptung, diese Welt sei die beste aller möglichen, ist das Signum der Moderne – und damit für Sebastian Ostritsch geradezu verdächtig. Ein solches skeptisches Gottesbild habe eine „moralische Lücke gerissen“. Offenbar geht es dem Autor darum, mit Thomas’ Gottesbeweisen diese Lücke wieder zu schließen. Bezeichnend ist, dass die Frage der Theodizee an keiner Stelle erwähnt wird – als ob sich Menschen in größtem Dunkel und Leid nur darauf zu besinnen hätten, dass es irgendwo „ein singuläres, unveränderliches, körperloses, immaterielles, zeitlos-ewiges, transzendentes, vollkommen gutes und allmächtiges Wesen“ gibt.

Zweifellos würde Sebastian Ostritsch auch die Vorstellung einer „Legitimität der Neuzeit“ (Hans Blumenberg) ablehnen. Offenbar ist auch die Säkularisierung für ihn ein Irrweg, obwohl unter ihr doch die Übersetzung oder Neuorientierung von religiösen Fragen der Vormoderne zu verstehen ist. „Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur eine Vorläufergestalt oder ein Katalysator gewesen“, betont Jürgen Habermas. Im Sinne solcher Übersetzung fährt er fort: „Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik.“ Auch die These einer Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion (Detlef Pollack) wischt Sebastian Ostritsch in seinem zweiten Kapitel Das helle Mittelalter rasch beiseite. Dies ist überzeugend, wenn er den Siegeszug der Naturwissenschaften und ihren Alleinvertretungsanspruch für Wissenschaftlichkeit und Rationalität kritisiert; aber doch zu rasch, wenn er dem modernen Denken eine bloß nominelle Vernunft bescheinigt, „die in Wahrheit aber Imagination, Projektion oder Wunschdenken ist“.

Aus diesen Überlegungen hätte eine interessante Diskussion mit einem sicherlich streitbaren Autor entstehen können. Gerne hätte man ihn etwa dazu gehört, ob nicht aus seiner forschen Feststellung „Ein ungewisser Glaube ist daher gar keiner“ folgt, die Menschheit in Gläubige und Ungläubige zu unterteilen. Schade, dass in München die Chance eines Streitgesprächs über die Kompatibilität von Religion und Vernunft unter den Bedingungen der Moderne nicht genutzt wurde.

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