Weshalb all das Leid und Unrecht auf Erden, wenn der Herr doch jederzeit eingreifen könnte? Die Theodizee-Frage geht auf Leibniz zurück, ist aber mindestens so alt ist wie das Buch Hiob. Heiko Bräuning, evangelischer Pfarrer, Hörfunk- und Fernsehjournalist, Musiker, Moderator und Autor, beantwortet sie erstaunlich schlicht: Gott ist nicht da. Und weil er nicht da ist, greift er auch nicht ein. Aber: Er wird wiederkommen.
Ausgangspunkt des Büchleins mit dem etwas vollmundigen Titel ist das Gleichnis von den Talenten bzw. Pfunden (Mt 25,14–30 und Lk 19,11–27): Jesu Vergleich des Himmelreichs mit einem Herrn, der seinen Knechten sein Vermögen anvertraut, verreist und nach seiner Rückkehr Rechenschaft verlangt. Gott erwartet, dass wir etwas aus unseren Begabungen machen, unsere Möglichkeiten und Interessen zum Guten nutzen – so die gängige Interpretation. Bräuning geht davon aus, dass Gott diesen Auftrag erfüllt sehen will und dies am Tag seiner Rückkehr auch kontrollieren wird.
Im Mittelpunkt seines Interesses steht aber die Zeit, seitdem der Herr weggegangen ist. Die Zwischenzeit. Sie begann vor knapp 2000 Jahren mit der Himmelfahrt Christi und hält an. Seitdem ist Gott abwesend, verborgen. Er hat sich zurückgezogen und die Welt eine Weile sich selbst und den Menschen überlassen. Aber wir dürfen uns trösten: „Die Zeit seiner Abwesenheit verbringt Gott damit, das Himmelreich größer und groß werden zu lassen und uns ,eine Stätte zu bereiten’, von der wir annehmen können, dass es sich um den ,neuen Himmel und die neue Erde’ handelt, von der die Offenbarung des Johannes spricht.“
Aber noch sei es nicht so weit. Noch sei Gott weg. Die radikale Leugnung seiner Anwesenheit bringt einige Probleme mit sich, die der Autor eher mühselig zu lösen versucht:
• Jesus hat doch gesagt, er sei bei uns? Antwort: Ist er nur in der Erinnerung. Und in unserer Hoffnung auf seine Rückkehr.
• Erreichen wir Gott im Gebet, wenn er gar nicht da ist? Antwort: Das Gebet kann uns bestärken in der Gemeinschaft und im Glauben. Aber wir können uns Gott damit nicht verfügbar machen. Vielleicht aber dringen unsere Gebete trotzdem irgendwie zu ihm durch.
• Was ist mit dem Heiligen Geist? Antwort: Ersetzt die Abwesenheit Gottes nicht, erinnert uns aber an alles, was Christus gesagt hat.
„Alles Leid des Menschen kommt vom Menschen“, zitiert der Autor Seneca. Aber stimmt das? Bräuning bringt Beispiele schrecklicher Taten wie Morde, Kriege und monströseste Verbrechen bis zum Holocaust. Er nennt aber auch tödliche Krankheiten, schlimme, unverschuldete Unfälle – anzuführen wären auch Naturkatastrophen … Was ist mit dem Leid, das nicht menschengemacht ist? Wir kriegen Gott nicht in den Griff, schreibt Bräuning, und man möchte ihm zustimmen. „Seine Gegenwart kann durch nichts erzwungen oder garantiert werden.“ Auch dies. Aber darf man daraus seine komplette Abwesenheit schlussfolgern?
Bräuning selbst nennt sein Buch einen „Denkanstoß“. Aber zu welchem Preis? Menschen und Gemeinschaften, die Gott im Herzen tragen, seine Nähe wünschen, darum beten, in dieser Hoffnung leben, kann ein solches Gedankenspiel zumindest irritieren. Der Autor bemüht allerlei Bibelzitate, verzichtet aber ansonsten weitestgehend auf Quellenangaben. Es seien seine eigenen Gedanken, erklärt er sich. Wirklich überzeugend wirken sie nur teilweise. Dass es eine göttliche Gerechtigkeit nicht von dieser Welt geben wird, die alles Unrecht geraderückt und alle Tränen trocknen lässt – darauf könnte man sich wohl einigen.