Der Titel dieses Buchs passt insofern nur begrenzt zum Inhalt, als sich die meisten der hier in Überarbeitung präsentierten Beiträge von Hans Joas höchstens indirekt mit dem Thema Kirche befassen: Es geht vielmehr um Religion und Säkularität, um die Bedeutung der Menschenwürde oder um den wenig bekannten Großroman „November 1918“ von Alfred Döblin. Gleichzeitig liefert der (katholische) Soziologe und Philosoph aber hilfreiche Anstöße für die derzeit recht kontrovers geführte Debatte über Gestalt und Auftrag von Kirche, nicht im Sinn einer theologischen Ekklesiologie, aber mit dem Blick des kompetenten, gut vernetzten und hoch interessierten Außenseiters.
Joas möchte ausgetretene Wege verlassen und „weder eine innerkirchlich-theologische Selbstverständigung über Kirche“ einfach fortsetzen „noch die Sozialwissenschaften als Mittel der Kirchen- und Religionskritik“ einsetzen. Er setzt an bei Kirche als spezifischer, innerhalb der Weltreligionen einzigartiger Sozialform des Christentums und richtet in der Nachfolge von Ernst Troeltsch die Aufmerksamkeit auf die Modelle Sekte und lockere spirituelle Gemeinschaft als die anderen christlichen Organisationstypen. Auf diesem Hintergrund wendet sich das Buch gegen ein enggeführtes Verständnis von Kirche als Moralagentur und plädiert für eine kirchliche Erneuerung, die an ihrer Eigenprägung Maß nimmt und gerade damit ihre Chancen in der Gegenwart selbstkritisch nutzt.
Mit seiner These, das religiöse Ideal des Christentums selbst müsse der Bezugspunkt für alle Überlegungen zur richtigen organisatorischen Struktur der Kirche bleiben, kommentiert Joas sozusagen den derzeitigen „Synodalen Weg“ in der katholischen Kirche Deutschlands und spricht dabei dem Begriff „synodale Strukturen“ das Potenzial zu, eine der Kirche heute ernsthaft adäquate organisatorische Struktur zu entwickeln. Lesenswert in seinem Buch sind aber nicht nur Bemerkungen zur aktuellen Situation der Kirchen und den damit verbundenen Herausforderungen, sondern durchaus auch eher vom Hauptstrang abseits liegend Beiträge wie gerade der über den Denkweg des 2009 verstorbenen, ursprünglich marxistischen polnischen Philosophen Leszek Kołakowski mit seinem großen Werk über „Christen ohne Kirche“. Ulrich Ruh