Zur Grundordnung von 2022Rechtssicherheit versus Lehrmeinung

Die neue Grundordnung wurde in Münster als bahnbrechend vorgestellt: Sie beinhaltet deutlich mehr Rechtssicherheit für Arbeitnehmende. Doch gut ist damit noch längst nicht alles.

Hilde Naurath, Redakteurin der Herder Korrespondenz

Ein großer Schritt für das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland, gar kein Schritt für die katholische Lehre: So lautet das Fazit der Tagung „Kirche ohne Angst? Queere Mitarbeiter*innen und die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts“.

Im Mittelpunkt stand die neue Grundordnung von November 2022. Einerseits wurde sie von Fachleuten und Teilnehmenden als bahnbrechend für die Rechtssicherheit von Arbeitnehmenden in deutschen kirchlichen Einrichtungen gesehen. Kirchliche Mitarbeitende sind nun nicht mehr abhängig von „gnädigen“ und damit willkürlichen Einzelfallentscheidungen ihres Vorgesetzten beziehungsweise Bischofs, sondern sie sind, wie alle nichtkirchlichen Arbeitnehmenden auch, arbeitsrechtlich geschützt, wenn es um ihr Privatleben geht: „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen“ (Art. 7 Abs. 2 GrO n.F). Dieser Satz bedeutet wahrlich eine befreiende Neuerung beispielsweise für queere Menschen und für wiederverheiratet Geschiedene im kirchlichen Dienst. Darin waren sich die die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins, der Arbeitsrechtler Jacob Joussen und der Caritas-Wissenschaftler Klaus Baumann sowie der Kirchenrechtler Thomas Schüller einig.

Andererseits aber bleiben viele Fragen und Forderungen offen. So seien die Definitionen von Katholizität und Loyalität unklar und könnten nun verstärkt von extremen Gruppen angeführt werden – darin erkannte der Münsteraner Generalvikar Klaus Winterkamp eine Gefahr. Die meisten Anwesenden aber sahen vor allem in der Entstehungsgeschichte der Grundordnung eine Quelle bleibender Probleme. Demzufolge entstand sie eben nicht aus einer intrinsischen Motivation der Bischöfe heraus, sondern vor allem auf Druck von außen, besonders eindrücklich durch das „Chefarzturteil“ des Europäischen Gerichtshofs und die Initiative „Out in Church“. So folgt sie nach wie vor eher unreflektiert einer binären Geschlechterlogik. Auch ein Bekenntnis, dass die bisherige Grundordnung unzähliges Leid verursachte, blieb bisher aus. Der Initiator von „Out in Church“ Jens Ehebrecht-Zumsande und Theologiestudierende Mara Klein forderten daher ein Schuldeingeständnis.

Und natürlich hat das deutsche Arbeitsrecht auch keinerlei Auswirkungen auf die katholische Lehre. Die Diskrepanz zwischen dem deutschen Arbeitsrecht und den lehramtlichen Moralvorstellungen der römisch-katholischen Kirche tritt nun offen zutage. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert.

Bis auch das Lehramt alle Menschen „unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform“ als potenzielle „Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche“ (Art. 3 Abs. 2 GrO) sieht, bedarf es demnach noch deutlich mehr Drucks, von außen wie innen. Dabei sollte doch eigentlich die Kirche bei der Anerkennung aller Menschen vorangehen, nicht hinterherhinken.

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