Lebenskrise als ChanceAngst vor dem Alter

Die Angst vor dem Älterwerden kann sich sehr verschieden anfühlen, sie kann sogar etwas bedrohend Unwiderrufliches haben. Da ist nicht nur die Angst vor dem Verlust der eigenen Bedeutung nach dem Ausscheiden aus dem Beruf. Da ist auch die Angst, seine Kraft zu verlieren, krank zu werden, auf Hilfe angewiesen zu sein.

Eine ältere Person legt seine Hände auf einen hölzernen Tisch.
Fühle ich mich wertlos, wenn ich mir vorstelle, alt und krank zu sein?© tomertu - shutterstock.com

Wer bin ich?  

Für viele verbindet sich mit dem Älterwerden die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, nutzlos zu sein, an Ansehen zu verlieren. Solange man eine Position im Beruf hatte, war man anerkannt. Jetzt fällt der Titel weg, und die Leute interessiert es nicht mehr, ob ich einmal Schuldirektor war oder Bankdirektor oder Abteilungsleiter oder Ingenieur. Jetzt gilt nur noch, wer ich als Person bin. Viele reagieren darauf mit Depressionen. Die Depression hat immer einen Sinn. Darin liegt auch eine Chance: Ich mache mich auf den Weg in meine eigene Mitte. Es ist letztlich ein spiritueller Weg, auf dem ich meine tiefe Identität in Gott finde. Entscheidend ist jetzt die Einsicht: Ich bin eine einmalige Person. Und es gilt jetzt nicht, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen, sondern dieses innere Bild in mir zu entdecken, das Gott sich von mir gemacht hat.  

Wozu die Angst einlädt  

Die Angst vor dem Älterwerden ist eine Einladung, mich intensiv mit meinem Älterwerden auseinanderzusetzen. Ich darf mich freuen, wenn ich noch genug Kraft habe, all das zu tun, was mir wichtig ist, und mich noch für andere einzusetzen oder die Arbeit zu tun, die bisher mein Leben geprägt hat. Eine Hilfe, sich der Angst zu stellen, besteht darin, sich vorzustellen, wovor ich Angst habe. Ich stelle mir also vor, dass ich das oder jenes nicht mehr tun kann, dass ich krank werde und auf Hilfe angewiesen bin. Wie fühle ich mich? Fühle ich mich dann wertlos? Diese Vorstellung ist eine Warnung – ich sollte überlegen: Identifiziere ich mich ganz und gar mit meiner Arbeit? Die Angst lädt mich also ein, den Wert meiner Person zu entdecken, der unabhängig von der Leistung ist, die ich noch erbringe. Ich versuche, mich selbst zu spüren. Und ich schaue mit neuen Augen auf mein bisheriges Leben. Was hat mich geprägt? Was war typisch für mich? Wofür bin ich dankbar? Und was ist der tiefste Grund meiner Person, die all das getan und gedacht hat, was mir jetzt im Rückblick einfällt? Es verlangt Demut, sich einzugestehen, dass ich dann möglicherweise der Hilfe anderer Menschen bedarf. Wenn ich aber diese Demut aufbringe, kann ich dankbar Hilfe annehmen und mich darüber freuen, dass Menschen sich um mich kümmern.

Mein wahres Ansehen

Ähnlich ist es mit der Angst, mein Ansehen zu verlieren. Auch hier hilft es, sich vorzustellen: Was wäre, wenn ich all das äußere Ansehen verlieren würde, wenn keiner nach mir fragen wird, wenn ich von niemanden um Rat gefragt werde, wenn ich übersehen werde von den anderen? Manche werden sich dann an ihre Kindheit erinnern: Da fühlten sie sich auch oft übersehen. Daher haben sie in ihrem Leben alles daran gesetzt, nicht übersehen zu werden. Die Herausforderung ist jetzt, mein wahres Ansehen zu entdecken. Ich soll mich selbst mit barmherzigen und milden Augen ansehen. Und ich soll mir vorstellen, dass Gott mich ansieht. Gott sieht nicht auf meine Leistungen, sondern auf meine Person, auf mich als ein Kind Gottes. Diese Vorstellung soll uns natürlich nicht infantil machen. Der 1. Johannesbrief zeigt uns das Geheimnis der Kindschaft auf: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1 Joh 3,2) Unser wahres Ansehen besteht darin, dass Gott uns ganz persönlich anschaut und dass wir Gott einst schauen dürfen. Wenn wir Gott schauen, werden wir eins mit ihm. Und in diesem Einswerden liegt unser eigentlicher Wert, unser wahres Ansehen.

Segen für andere

Wir brauchen die Angst vor dem Älterwerden und die Angst vor dem Verlust von Kraft und Ansehen nicht zu unterdrücken. Wir sollten aber ein Gespräch mit dieser Angst führen. Dann wird die Angst zu einem Freund, der uns in Berührung bringt, mit einer inneren Kraft, die wir mitten in unserer körperlichen oder seelischen Schwäche spüren dürfen. Es ist die Kraft des Heiligen Geistes, die stärker ist als alle Leistungskraft, die wir in unserem Leben erfahren haben. Wenn wir von Gott gesehen werden, übersehen wir uns auch selbst nicht, sondern schauen gerne und mit einem milden Blick auf uns. Dann werden wir still und spüren: Dieses Ansehen, das Gott uns gibt, kann uns keine Krankheit, keine Schwäche, kein Übersehenwerden durch Menschen rauben. Es ist eine innere Würde, die immer bleiben wird. Und dann wird die Angst zur Einladung, diese innere Würde bis zuletzt zu leben, ganz gleich, wieviel Kraft oder Ansehen wir nach außen hin verlieren. Diese Würde wird nicht nur in Gott Bestand haben. Sie wird auch von anderen Menschen gesehen. Denn dann geht von uns etwas aus, was die Menschen berührt. Es ist gut, wenn uns das Alter in diesem Sinn ehrgeizig macht. Wir brauchen den Ehrgeiz, in guter Weise alt zu werden und im Alter eine Würde zu leben, die jenseits aller Äußerlichkeiten und aller äußeren Ehre oder Entehrung ist. Dann dürfen wir vertrauen, dass wir im Alter trotz Hilfsbedürftigkeit und Schwäche ein Segen werden für viele.

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