Müßiggang als Tugend? Der Titel irritiert – und kann provozieren, in einer Welt in der das Mantra des ewigen Wachstums, des Größer, Schneller, Weiter vorherrscht. Als Kursleiter kennt der Philosoph und Theologe Lukas Niederberger das tief verwurzelte Schuldgefühl, das manche befällt, wenn sie einen Nachmittag oder ein Wochenende lang nichts Produktives zu tun haben. Mit lebenspraktischen Übungen soll genau diesem Nichtstun, der Muße, Platz gegeben werden. „Ich handle bewusst gegen den Spruch: Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen“ ist eine der leichteren Übungen. „Ich gehe an einen See oder auf einen Berg und schaue eine halbe Stunde lang in die Weite“ schon schwieriger.
Dabei zeichnet Vom Leisten zum Leben eine starke Vielstimmigkeit aus. Immer wieder hat Niederberger Meinungen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis eingeholt, die er im Buch wertfrei nebeneinander stehen lässt. Eine schöne Idee, die dazu einlädt, sich eigene Gedanken zum Gelesenen zu machen. Besonders spannend wird das, wenn es um Bibelarbeit geht, etwa um das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, die unabhängig von der geleisteten Arbeit alle den gleichen Lohn erhalten. „Ich bin mit dieser Haltung nicht einverstanden“, lässt eine Befragte wissen. Manche vermuten gar einen Übersetzungsfehler. Und andere sehen hier eine Bestätigung, sich für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens einzusetzen.
Doch ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Menschen, die nicht mehr im Arbeitsalltag stehen, die sich nach Jahrzehnten der Betriebsamkeit im Ruhestand wiederfinden. Es kann am Selbstwertgefühl kratzen, sich plötzlich nicht mehr gebraucht zu fühlen, wie Niederberger aus seinen Kursen weiß. „In die dritte und vorletzte Lebensphase (zwischen 60 und 80 Jahren) gelangen wir in der Regel ohne große Vorbereitung.“ Damit kann das Buch auch ein lohnendes Geschenk sein für Menschen, die sich auf die Zeit nach der Berufsarbeit einstellen. Und das Schönste: Der Beschenkte braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn das Buch doch eine Weile ungelesen auf dem Nachttisch liegen bleibt. Man hat damit direkt die wichtigste Lektion verinnerlicht: Einfach mal nichts tun.