Seit mehr als vierzig Jahren gehöre ich nun zur Lese- und Fangemeinde von Huub Oosterhuis, der einmal demselben Orden angehörte wie ich und Jesuit war. Ihn „Mitbruder“ zu nennen, traue ich mich nicht – zu groß ist der Respekt vor dem am 1. November 1933 (Allerheiligen) geborenen und am 9. April 2023 (einem Ostersonntag) verstorbenen niederländischen Dichter, Poeten und Theologen. Welche Klammer über einem neun Jahrzehnte umfassenden Leben!
Auch zwei Jahre nach seinem Tod tauchen immer noch Gebete, Meditationen, Texte und Gedichte von ihm auf. So auch jetzt wieder: Viele erstmals auf Deutsch veröffentlichte Texte, die gleichermaßen faszinieren und inspirieren – über Konfessionsgrenzen hinaus. Ein solcher Begleiter durch das Jahr hat den Vorteil, dass man nicht auf den 1. Januar warten muss, sondern jederzeit einsteigen kann und dann trotzdem, Tag für Tag, am Ende auf ein ganzes Jahr kommt.
Es ist eine feine und feinsinnige, wie immer wohl bedachte Auswahl aus dem reichhaltigen Werk, die Cornelis Kok hier vorgenommen hat. In seiner „Einladung“ zu Beginn charakterisiert er die Texte treffend als „poetische Theologie: vielsagend, vielschichtig, ohne endgültige, zwingende Sicherheiten“. Wer mit Oosterhuis vertraut ist, wird auf bekannte Texte stoßen, aber auch – kaum zu glauben – von ganz neuen überrascht werden. Sie lassen einmal mehr staunen, welche sprachliche Kraft und Kreativität hier zutage tritt. Jeder einzelne Monat trägt ein Motto, das einen ausdrucksstarken Aspekt seines Lebenswerkes hervorhebt.
Mir stachen besonders die Texte des Monats November („Leben gegen den Tod“) und Dezember („Menschenkind Morgenstern“) ins Auge. Etwa: Vielleicht (2. November): „Wo sind unsere Toten? Doch nicht dort, in diesen Gräbern, oder? Gräber sind heilig, heiliger Boden, überall. Aber sie geben keine Antwort auf die Frage: Wo sind sie geblieben?“
Viele Menschen haben dafür keine Sprache. Huub Oosterhuis leiht sie ihnen, wieder und wieder – und vielleicht finden manche, wenn sie sich auf ihn einlassen, ihre eigene Sprache.