Ist’s möglich Herr, dass einer neu geboren wird, der schon des Lebens Mitte überschreitet? Du hast’s gesagt, und mir ward’s Wirklichkeit. Eines langen Lebens Last an Schuld und Leiden fiel von mir … O keines Menschen Herz vermag’s zu fassen, was denen Du bereitet, die Dich lieben. Nun hab‘ ich dich und lass Dich nimmermehr. Wie immer meines Lebens Straße geht, bist Du bei mir. Nichts kann von Deiner Liebe je mich scheiden.
Edith Stein (1891–1942)
Edith Stein, die hochbegabte jüdische Philosophin, war von der Autobiographie von Teresa von Avila so fasziniert, dass sie zur katholischen Kirche konvertierte. Als Frauenrechtlerin trat sie mit 42 Jahren in den Karmel ein. Am 2.8.1942 wird sie verhaftet und nach Ausschwitz gebracht. Zu ihrer Schwester sagt sie da: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Als Christin fühlte sie sich zugleich auch dem jüdischen Volk zugehörig. In ihrem Gebet drückt sie ihre Neugeburt aus. Offensichtlich meint sie damit ihren Eintritt in den Karmel. Das war für sie ein Neuanfang. Alle Schuld und Last der Vergangenheit fiel von ihr ab. Diese Erfahrung dürfen wir manchmal machen, wenn uns ein Gebet geschenkt wird, bei dem wir spüren: Es stimmt. Gott nimmt mich ganz und gar an. Dann fällt die Vergangenheit von uns ab. Wir können neu beginnen. Für Edith Stein war diese Erfahrung so tief, dass sie keine Angst hatte vor der Judenverfolgung, die sich ja schon 1933, im Jahr ihres Klostereintritts anbahnte. Sie war überzeugt, dass Gott all ihre Wege mitgeht. Daher kann sie mit den Worten des hl. Paulus bekennen: „Nichts kann von Deiner Liebe je mich scheiden.“ Wenn wir die Worte von Edith Stein in uns eindringen lassen und sie offen und achtsam nachbeten, dann kann es sein, dass wir eine ähnliche Erfahrung machen. Auf einmal fühlen wir uns frei von aller Angst vor der Zukunft. Wir spüren: Wir gehen unseren Weg nie allein. Jesus ist unser Begleiter, der mit uns geht. Und auf diesem Weg sind wir immer von Gottes liebender Gegenwart getragen.