Begegnungen. Enoch Freiherr zu Guttenberg im GesprächKomm, Schöpfer Geist

Er bezeichnet sich als Agnostiker und ist doch tief in der christlichen Tradition verwurzelt. Der Umweltschützer und Interpret vor allem geistlicher Musik gilt als „einer der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit“ (SZ). Im Gespräch mit Rudolf Walter denkt er darüber nach, was Geist vermag.

Porträt von Enoch Freiherr zu Guttenberg.
Enoch Freiherr zu Guttenberg, Musiker, Umweltschützer, Dirigent.© Musikbüro Enoch zu Guttenberg; Fotograph: Andreas Müller

Was beeindruckt Sie an der biblischen Pfingsterzählung?
Die Verwandlung: Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, verstehen einander plötzlich! Aus Nichtverstehen wird Verstehen, Kommunikation, Gemeinschaft. Ein Bild von unglaublicher Kraft: Der Geist fährt in die Menschen!

Weihnachten – die Gottesgeburt, Ostern – Überwindung des Todes, Pfingsten als Geist-Fest: Sind christliche Feste nicht immer auch Feste der Sehnsucht?
Natürlich. Darin sind sie mir besonders nah. Ich bin leider zum Agnostiker geworden, der seinen naiven Glauben verloren hat, kenne aber die Sehnsucht nach Glaubensgewissheit. Trotzdem kann ich nicht an leibliche Auferstehung und individuelles ewiges Leben nach dem Tod glauben. Musik ist für mich ein Ort für das Wachhalten dieser Sehnsucht.

Sie sagten einmal, dass Sie glauben, solange Sie die Matthäuspassion von Bach dirigieren…
Aber nur so lange. Wenn ich den Frack ausziehe, ist es vorbei. Mein Großvater mütterlicherseits, ein tapferer Mann, hinreißend als Mensch, Überlebender des 20. Juli, hatte einen festen, einfachen Kinderglauben – wie meine geliebte Mutter. Danach sehne ich mich zurück! Ich bin verdorben vom Wissen um die Evolution, die Hirnforschung, die Geschichte, und ich sehe: Die Schöpfung ist schön; doch sie ist systemimmanent grausam im Fressen und Gefressenwerden, im Überlebenskampf der Arten. Denken Sie daran, was Menschen einander antun. Auschwitz ist keine Ausnahme. Ich selbst habe ein Leben, für das ich täglich danke. Aber eine liebevolle Führung und Fügung Gottes in dieser Welt kann ich nicht sehen.

Sind die biblischen Bilder von Wandlung nicht etwas, was uns in dieser grauenvollen Welt eine Richtung weist – gerade in einer Welt, wie sie faktisch ist?
Sie sind für mich die menschlichen Zeichen der großen und hilflosen Sehnsucht nach Überwindung des ständigen Leidens, nach dem Sieg über das Böse und über den endgültigen Tod. Aber kann man darauf hoffen? Und haben wir z. B. wirklich aus der Nazizeit gelernt? Es muss sich nur das System ändern. Und alles geht – abgewandelt – von vorne los.

Wie sehen Sie die Chancen des Geistes im Blick auf die Verwirklichung des Positiven, des Schönen und Guten?
Was meint die Chiffre „Geist“? Wo entwickelt sich aus bloß intelligentem Handeln wirklicher Geist? Konrad Lorenz meinte, die Atombombe sei für den heutigen Menschen das Gleiche, wie der Faustkeil für den Neandertaler. Andererseits hat mein Vater immer gesagt: „Wenn du wissen willst, wie sich Glauben anfühlt, musst du einen Bachchoral anhören“. Das ist eine andere, eine wunderbare Wahrheit. Trotzdem weiß ich natürlich als Dirigent, wie sich solche Gefühle herstellen und verstärken lassen.

Aber es gibt diese Kraft. Sie ist Realität.
Geist ist eine Wirklichkeit, die wir erfahren können. Pfingsten verweist darauf: Die Kraft des Geistes kann über einen kommen. Es ist wie mit der Liebe. Auch die Liebe kann über einen kommen, überwältigend… Allerdings: Liebe kann auch blind machen, und Wissenschaft reduziert Liebe auf Hormone und Gehirnvorgänge.

Darin geht Liebe sicher nicht auf…
Das stimmt für Sie und für mich und für viele, die sich bewusst drein- oder hingeben. Und dennoch ist, was im Gehirn passiert, objektiv feststellbar. Sehen Sie, ich habe schreckliche Dinge erlebt bei Freunden, um die ich mich kümmere, sehr viel intelligenter und begabter als ich, die schwere Unfälle hatten und deren Hirn zerstört ist. Da reduzieren sich die Sehnsüchte sehr simpel: Essen, Trinken und Schlafen. Das lässt mich wieder, was den Geist betrifft, sehr nüchtern werden.

Aber dass Sie diesen Menschen in Liebe zugewandt bleiben, ist doch auch ein Teil dieser Realität, über die wir sprechen.
Natürlich. Aber auch die Löwin, die das Gnu zerfleischt oder die Jungtiere einer Gazelle frisst, ist ihren Löwenkindern in größter Liebe zugetan.

Was macht dann – gerade im Unterschied zum Tier – den menschlichen Geist aus?
Alles, was in selbstloser Liebe geschieht – das unterscheidet uns, das macht uns zu Menschen. Und noch etwas haben wir den Tieren voraus: Wir sind die einzige Art, die, im Kleinen, schöpferisch sein kann. Das ist mehr als das Finden intelligenter Lösungen. Einstein hat gesagt: „Das Finden der Relativitätstheorie ist der kleinere geistige Aufwand verglichen mit dem Erfinden der Kunst der Fuge.“ Wir „können“ einen Isenheimer Altar, ein „Wohltemperiertes Klavier“, einen „Faust“. Aber wir können leider auch eine Atombombe.

Wenn Sie menschlichen Geist definieren sollten, würden Sie dieses Schöpferischsein als Ausgangspunkt nehmen?
Man kann tatsächlich auch schöpferisch sein, wenn der Intellekt beschädigt ist. Ich habe einen geistig schwer behinderten Cousin. Ihm hilft aber Musik und er kann sehr begabt zeichnen, und das hilft ihm, mit seinem Unglück umzugehen. Was heißt das? Dass uns den Geist jemand gegeben hat? Aber es gibt auch den Ungeist.

Wenn Geist nicht auf Intellektualität reduzierbar ist – was muss dazukommen?
Herz! Auch in der Zeit des NS gab es – oft ganz einfache – Leute, die dem sog. Zeit- „Geist“ widerstanden. Die wussten einfach: Das geht nicht. Es war nicht vereinbar mit dem, was ihr Herz ihnen sagte. Auch das Herz ist ein Zugang zum Geist.

Sie bezeichnen sich selbst als Agnostiker: Aber würden Sie leugnen, dass in großer Musik das Ewige fühlbar wird?
Ich würde nicht so weit gehen. Aber, Musik ist die Königin der Künste. Wo die Sprache aufhört, geht die Musik erst an. Große Musik hat emotionale Kraft, Feuer – packenden Geist. Sie kann das Phänomen Liebe beschreiben. Aber Musik kann alles. Sie kann auch verführen, sie lässt sich missbrauchen. Die „Neunte“ von Beethoven wurde u.a. von Hitler missbraucht. Heute dient sie als Europa-Hymne, das ist, so glaube ich, falsch. Hören Sie den letzten Satz, der sich aus den vorgehenden Sätzen ergibt: Wie dieses kleine Thema liebevoll geboren wird, es sind ja nur 5 Tö ne, und wie Beethoven das immer grandioser gestaltet - und zum Schluss endet das, im letzten Presto, im absoluten Chaos… In Wirklichkeit sagt also die Neunte Beethovens: So einfach funktioniert es nicht, dass wir alle Brüder werden.

Drückt sie nicht beides aus: die Harmonie und das Chaos? Macht nicht solche Koexistenz gerade das Spannende und die Vollkommenheit hoher Kunst aus?
Wahrscheinlich, aber nicht in jedem Fall: Bach hat in den Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs gelebt und trotzdem in absoluter Glaubensgewissheit komponiert. Seine Kunst ist vollkommen, nehmen Sie dagegen die Missa solemnis von Beethoven: Das Agnus Dei, das unkadenziert aufhört, also mit einem großen Fragezeichen – ob das mit dem Frieden und den Verheißungen wirklich so funktioniert? Man weiß, dass Beethoven, als er die Messe komponierte, schon an der Existenz eines Gottes gezweifelt hat. Eigentlich ist diese Musik ein verzweifeltes Auflehnen, von einem wissenden Geist geschrieben. Diese Missa solemnis drückt nicht mehr das Gleiche aus wie etwa die h-Moll-Messe Bachs. Aber auch sie ist vollkommen in ihren Zweifeln; oder etwa „Zarathustra“: etwas sprachlich Schöneres als dieses Werk Nietzsches in seiner Negation ist schwer vorstellbar.

„Komm, Schöpfer Geist“ ist der bekannteste Pfingsthymnus. Welche Bitte verbinden Sie selbst damit?
Der Schöpfergeist möge in die Menschen fahren, damit sie wahrnehmen, was mit der Schöpfung geschieht. Dass sie aufwachen und handeln! Sehen Sie: Ich bin 70. In meiner Generation ist fast all das geschehen, was wir an Zerstörung der Erde und an Schönheit der Natur beklagen. Unsere Zeit ist bestimmt von einem geistlosen kapitalistischen Materialismus. Wir verspielen, was unsere Kinder und Enkel zum Leben brauchen. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, sagt Jesus. Wir aber wissen, was wir tun. Auch wenn ich in meinem Kampf gegen die Umweltzerstörung auf manche wie ein Don Quijote wirken mag: Ich selber will einmal ins Grab fallen in dem Bewusstsein: Ich habe getan, was ich konnte.

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