Der Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken wird in diesem Jahr der Malerin Karin Kneffel verliehen. Eine Jury von namhaften Fachleuten ist zu dieser Entscheidung gekommen. In der Begründung ihres Vorschlages hob die Jury die „technische Perfektion“ der Malerin hervor, mit der sich diese gleichwohl nicht begnüge. Vielmehr faszinierten ihre monumentalen, überwiegend fotorealistischen Gemälde durch „unterschiedlich gebrochene Betrachterperspektiven“, in denen „Symbolismus und Realismus, Ikonografie und Oberfläche, Kunst und Leben ebenso überraschend wie reizvoll aufeinandertreffen“. Besonders ihr jüngster Gemäldezyklus „Face of a Woman, Head of a Child“ hatte es der Jury angetan: „Kneffel greift darin die christliche Ikonografie von Maria mit dem Jesuskind auf und schert gleichzeitig aus. Kein Schleier, kein Heiligenschein. Kneffel verleiht ihnen eine eigene Würde; Maria und Jesus erscheinen inkognito sehr präsent, sehr nahbar.“
Karin Kneffel wurde 1957 in Marl geboren und studierte Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, am Ende als Meisterschülerin bei Gerhard Richter. Bekannt wurde sie durch großformatigen Stillleben, Tierporträts und Architekturen. Sie erhielt zahlreiche Preise und Professuren. Renommierte Galerien und Ausstellungshäuser zeigten ihre Werke. Ihre Arbeiten werden häufig dem Fotorealismus zugeordnet, aber das trifft es nicht recht. Vielmehr erkundet Kneffel in ihren Bildern die Grenzen von Wirklichkeit und Traum – und hebt sie nicht selten auf. Gestochen scharf Gemaltes verbindet sich mit Verwischtem, Verschleiertem, Verspiegeltem. Man gerät beim Betrachten in eine Art Schwebezustand, Deutungsmöglichkeiten scheinen auf und entziehen sich wieder.
Nichts im Leben ist selbstverständlich. Auch nicht, dass sich die Kirchen für die Kunst der Gegenwart interessieren – und umgekehrt. Eigentlich müsste ich von Berufs wegen – als Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland und als Mitherausgeber der Zeitschrift „Kunst und Kirche“ – das Gegenteil behaupten und die natürliche Verbindung beider beschwören. Aber nicht wenige Bildwerke aus den vergangenen beiden Jahrhunderten erstaunten und erschreckten mich jüngst bei einem Spanienbesuch durch ausgesuchte Scheußlichkeit.
Sicherlich, die alte Kirchenkunst schlägt einen immer noch in den Bann. Auch gibt es bestimmt hier und dort gelungenes Neues. Aber das, was wir sahen, zeigt, dass es eben nicht selbstverständlich ist, wenn die Kirchen sich im Ernst und mit Stilbewusstsein für die Kunst der Gegenwart interessieren und wenn sich heutige Künstlerinnen und Künstler auf eine Begegnung mit den Kirchen einlassen. Dass es im deutschen Sprachraum eine reiche Tradition und Praxis gibt, ist eben etwas Besonderes und Kostbares – ein gemeinsamer ökumenischer Schatz. Dazu gehört auch der „Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken“, der in der Regel alle vier Jahre in einer bestimmten Kunstsparte verliehen wird.
Vor diesem Hintergrund kann man gut verstehen, warum es die Gemälde-Serie „Face of a Woman, Head of a Child“ der Jury in diesem Jahr besonders angetan hat. Sie zeigt Gesichter klassischer Madonnen- und Christus-Skulpturen, nur den Kopf, nicht den Körper oder den ursprünglichen kirchlichen Kontext. Durch diese ausschnitthafte Nahsicht tritt das Grundmenschliche dieser Figuren hervor: Siehe, eine junge Mutter! Siehe ein kleines Kind!
Zugleich schwingt der christliche Sinn mit, aber ganz ungezwungen. Als der Zyklus 2023 im Museum Kurhaus Kleve gezeigt wurde, hatte man die gute Idee, ihm alte Madonnen- und Christuskind-Skulpturen gegenüberzustellen. So entspann sich ein freier, spielerisch-ernster Dialog zwischen Tradition und Gegenwart, Kunst und Kirche. Welch Glück, dass so etwas möglich und kirchlich gewürdigt wird.