Tagung der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie in DublinBruchlinien der Welt

Die diesjährige Tagung der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie hat sich der Verbindung globaler Probleme mit dem Glauben an einen der Welt zugewandten Gott angenommen – und dabei auch auf das Vermächtnis von Papst Franziskus verwiesen.

Ein Riss in einer Straße ist mit einem Pflaster überklebt
© Unsplash/Luis Villasmil

Etliche Formulierungen des verstorbenen Papstes Franziskus sind mittlerweile geradezu sprichwörtlich geworden. Man denke an die „Peripherien“, die „Heiligkeit von nebenan“ oder auch das eindringliche „todos, todos, todos“. So einfach diese eingängigen Motive zu zitieren sind, so überaus anspruchsvoll sind sie nicht nur in geistlicher, sondern auch theologischer Hinsicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Titel des programmatischen Apostolischen Schreibens „Ad theologiam promovendam“, mit dem Franziskus an Allerheiligen 2023 die Aufgabe der Päpstlichen Akademie für Theologie neu umriss (vgl. HK, Dezember 2023, 48–50).

Die Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie hat auf ihrer Zweijahrestagung, die Ende August am Trinity College in Dublin stattfand, Titel und Inhalt des Schreibens zum Anlass genommen, um über die Aufgaben der Theologie in einer unübersichtlichen und unruhigen Zeit zu debattieren. Unter der Überschrift „Ad theologiam promovendam. The tasks of theology in Europe today“ bot der europaweite Zusammenschluss von Theologinnen und Theologen über hundert Vortragenden ein Forum für ihre Thesen zu der Frage, wie die Theologie von den großen Themen der Zeit herausgefordert wird, zugleich aber auch selbst Gesellschaft, Kultur, Politik und Kirche herausfordert. Im Zentrum stand die Bemühung, drängende Herausforderungen wie Klimawandel, Krieg, Migration, Künstliche Intelligenz und Missbrauch aller Art einerseits und den Glauben an einen der Welt zugewandten Gott andererseits in eine Wechselseitigkeit zu bringen, die den Dienstcharakter der Theologie für das Gemeinwohl herausarbeitet und zugleich der Theologie ermöglicht, ein tieferes Verständnis für das Mysterium Gottes zu entwickeln.

Selbstkritisch ist dabei zunächst zu fragen, ob und wie die Rede von Gott in Kirche und Theologie überhaupt in der Lage ist, beiden Aspekten gerecht zu werden. Dafür ist eine Neubesinnung auf die Dynamik christlichen Gottesglaubens nötig – selbstredend auf Augenhöhe mit wissenschaftlichen Diskursen und existenziellen Fragen.

Die britische Theologin Janet Soskice (Oxford) plädierte dafür, in neuer Weise die dem christlichen Schöpfungsglauben innewohnende Überzeugung ins Bewusstsein zu rücken, dass die fortdauernde Präsenz des Schöpfers in seiner Schöpfung für den Menschen und seine Welt Wege und Perspektiven eröffne. Tomáš Halík (Prag) führte den von Soskice ins Spiel gebrachten Gedanken einer creatio continua, also einer von Gott in ihrer Eigenständigkeit getragenen Wirklichkeit, weiter und sprach entsprechend auch von einer Incarnatio continua und einer passio et resurrectio continua. Anders gesagt führen die zentralen Aussagen des Glaubensbekenntnisses zu Menschwerdung, Passion und Auferstehung nicht in eine geschichtsjenseitige Spekulation, sondern beinhalten eine geschichtsdiesseitige Inspiration, die sich im geisterfüllten Handeln von Menschen in der Welt ausweist. Der so erfahrbar werdende Mysteriumscharakter Gottes führe zu einer konkret engagierten Theologie im Rahmen einer synodalen Kirche. Im derzeit zu beobachtenden unübersichtlichen Miteinander von Exkulturation in Europa und Inkulturation in anderen Teilen der Erde, aber auch angesichts der Säkularisierung als „ungewolltem Kind“ der Kirche in Europa, muss nach Halík eine notwendige fortdauernde Reform der Kirche auf der Wechselseitigkeit von spirituellem und öffentlichem Leben sowie von contemplatio und actio im Horizont des göttlichen Mysteriums gründen.

Ein eindrückliches Modell, wie Leben und Zusammenleben aus dem Gottesglauben heraus heute gestaltet und theologisch reflektiert werden kann, legte Kardinal Jean-Marc Aveline (Marseille) vor. Dem Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz zufolge ist ausgehend vom Zweiten Vatikanum bereits die Offenbarung dialogisch zu verstehen, wodurch ein aufrichtiger und geschwisterlicher Dialog selbst schon eine Wirkweise der Gegenwart Gottes in der Welt sei. In seinen programmatischen Ausführungen zu einer Theologie der Mission zeigte der Gründungsdirektor des „Institut Catholique de la Méditerranée“ in diesem Sinn den Zusammenhang von Dialog und Mission sowie Dialog und Verheißung auf. Da die Kirche „nicht das Monopol auf die missio Dei“ habe, sei der Dialog die Haltung, „die der Mission der Kirche entspricht“. In einer trinitarischen Perspektive gelte es, die „wechselseitige Gastfreundschaft des Geistes“ zu entdecken und zu lernen, dass der Geist, der auch im jeweiligen Dialogpartner wirkt, die je eigene Identität dezentriert und zugleich die christliche Existenz ganz neu auf Christus wie auch auf die Armen hin zentriert. Im Sinne von Franz Rosenzweig seien Einheit und Differenz, Identität und Alterität ganz neu aufeinander zu beziehen. Avelines Vision einer Verheißungsgemeinschaft im jüdisch-christlichen Miteinander erhielt dadurch besonderes Gewicht, dass er unmittelbar von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land nach Dublin reiste. Für den Kardinal, dessen in langjähriger Forschungs- und Lehrtätigkeit entstandene innovative Theologie auf den pastoralen Erfahrungen in der von großer Pluralität und auch durch soziale Fragen geprägten Mittelmeermetropole Marseille fußt, ist der Horizont des Dialogs die Katholizität (vgl. HK, Dezember 2022, 32–35). Diese sieht er im eschatologischen Horizont ebenso als Geschenk wie als Berufung.

Ein notwendiges Wechselspiel

Eine so grundlegende Besinnung auf das Mysterium eines weltzugewandten Gottes kann sich nur in Wechselseitigkeit mit politischen und anthropologischen, historischen und ökonomischen, spirituellen und innerkirchlichen Fragen bewahrheiten. Dafür bedarf es nach Antonina Wozna Urbanczak (Graz) Theologinnen und Theologen, die „Designer“ und „Networker“ sind und die dadurch eine „gesellschaftlich relevante Theologie“ ins Werk setzen können. Auf politischer Ebene sieht in diesem Sinn Mark Chapman (Oxford) die Aufgabe der Theologie angesichts der gegenwärtigen „Zeitenwende“ darin, im vergleichenden Umgang mit den Zeitenwenden des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie des Falls der Berliner Mauer dazu beizutragen, nicht den Versuchungen einer zeitenthobenen, populistischen und autoritären „Politik der Ewigkeit“ zu erliegen.

Mit Blick auf die grundlegenden Infragestellungen durch Künstliche Intelligenz forderte der irischstämmige Kurienbischof Paul Tighe, Sekretär des Dikasteriums für Kultur und Erziehung, einen direkten Dialog mit Forschenden, in den die Theologie – um deren Expertise er nachdrücklich warb – besonders die bleibende Bedeutung der Körperlichkeit des Menschen thematisieren solle (vgl. HK, Dezember 2024, 19–22). Dabei ist die Aufarbeitung von körperlichem wie auch geistlichem Missbrauch, für den Barbara Haslbeck (München) in ihrer Analyse der in Deutschland gesammelten Erfahrungen sensibilisierte, unhintergehbare Bedingung für die Glaubwürdigkeit von Kirche und Theologie.

Die gerade an dieser Stelle offensichtlich notwendige beständige Reform der Kirche muss freilich ganz grundsätzlicher Natur sein, wie Eugene Duffy (Limerick) in einem großen Bogen vom künftig offiziellen Kirchenlehrer John Henry Newman über das Zweite Vatikanum bis zur Weltsynode anmahnte. Seine geschichtssensible Zugangsweise korrelierte mit dem Impuls der Historikerin Franziska Schnoor (St. Gallen), die am Beispiel des Wirkens der irischen Mönche Kolumban und Gallus auf dem europäischen Kontinent die Frage nach Kontextualität und Transkontextualität jedweder Gottesrede in eine heute auch in Kirche und Theologie oft übersehene oder ausgeblendete longue durée einschrieb.

Umfassende Dialogbestrebungen

Mit dem Kongress übernahm die bisherige Vizepräsidentin Fáinche Ryan (Dublin) die Präsidentschaft der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie von Gusztáv Kovács (Pécs). Zum neuen Vizepräsidenten wurde Jean Ehret (Luxemburg) gewählt. In ihrem programmatischen Schlusswort fasste die am „Trinity College“ lehrende Ryan den Ertrag des Dubliner Treffens in dem Arbeitsauftrag zusammen, den vielfältigen Fragen nach Gegenwart und Zukunft des Menschen in Gottes Welt im eucharistisch gefeierten Horizont von Inkarnation und Katholizität nachzugehen. In einer transdisziplinären und konstruktiven Weise gelte es, wie Thomas von Aquin die Welt, den Menschen und die Kirche „sub ratione Dei“ verstehen zu wollen. Dies setze einen umfassenden Dialog in Kirche, Universität und Gesellschaft voraus und ermögliche ihn zugleich. Man könnte hinzufügen, dass es dann nicht nur darum geht, die Theologie zu fördern (ad theologiam promovendam), sondern dass es der Theologie um die Förderung dessen gehen sollte, was dem Menschen dient. In diesem Sinn wird die deutschsprachige Sektion des theologischen Netzwerkes 2026 eine Tagung in Frankfurt zum Thema „Zukunft“ durchführen.

Auf dem Kongress bildeten etliche der genannten Formulierungen von Papst Franziskus wiederholt eine zentrale Referenz, die dessen spezifisch theologisches Vermächtnis deutlich werden ließ, das sich wiederum noch in mancherlei Hinsicht als prophetisch erweisen dürfte. Dies zeigte sich gerade auch im Dialog verschiedener theologischer und kirchlicher Mentalitäten innerhalb Europas, denen die Theologen-Gesellschaft ein Forum bietet.

Die zentrale Aufgabe der Theologie brachte Kardinal Aveline am Ende seines viel beachteten Vortrags auf den Punkt. In einer ermutigenden Verbindung von Wissenschaftlichkeit, Pastoral und Spiritualität verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, dass „die Kirche 60 Jahre nach dem Konzil erneut ihr Verständnis der Mission vertiefen muss, die Gott ihr anvertrauen wollte“. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Krisen erforderten eine „Arbeit der Konversion“, um in einer Mischung aus „Ungeduld der Nächstenliebe“ und „Geduld der Geschwisterlichkeit“ die innerhalb wie außerhalb der Kirche aufkeimenden „Samenkörner der Hoffnung“ wahrzunehmen und zu fördern. Gerade in den gegenwärtigen Herausforderungen benötige die Kirche eine solide theologische Reflexion, „um besser zu verstehen, was der Geist ihr heute zuflüstert. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass man ein Defizit der Theologie oft durch einen Exzess an Ideologie bezahlt“.

Dabei sollte sich die Theologie ihrerseits des Paschamysteriums auf den vom ermordeten algerischen Bischof Pierre Claverie sogenannten „Bruchlinien der Menschheit“ gewahr werden, an denen sich laut Aveline ihre Relevanz oder Irrelevanz entscheide.

Anzeige: Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein. Von Heiner Bielefeldt und Daniel Bogner
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