Versöhnung und Liebe
Die Erzählung von Noach und der Sintflut im Alten Testament (Gen 6-9) prägt die Symbolik der Taube bis heute: Gott sah, dass „die Erde voller Gewalttat“ war und beschließt, alle Lebewesen mit der Sintflut „vom Erdboden zu vertilgen.“ Noach trägt er auf, eine Arche zu bauen und von allen Tieren je zwei mitzunehmen. Als die Flut im siebten Monat abnimmt, lässt Noach eine Taube aus seiner Arche, um zu prüfen, wie weit das Wasser zurückgegangen ist. Die Taube kommt beim ersten Mal mit einem frischen Olivenzweig zurück und beim zweiten Versuch gar nicht mehr (Gen 8,11-12). So wissen Noach und seine Angehörigen, dass Leben auf der Erde wieder möglich ist, verlassen zusammen mit den Tieren die Arche und schließen mit Gott einen Bund. So konnte die Taube ein Symbol für Versöhnung und Frieden werden. Sie wird auch heute noch in dieser Bedeutung verwendet – sogar in weltlichen Kontexten, etwa als Bild der Friedensbewegung.
Im Hohenlied der Bibel wird die Braut im Bild einer Taube beschrieben: „Meine Taube im Felsennest, versteckt an der Steilwand, dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören.“ (Hld 2,14) So wird die Taube zum Bild für die Liebe zwischen Mann und Frau, dessen Symbolik viele bis heute schätzen, etwa beim Brauch, bei Hochzeiten weiße Tauben fliegen zu lassen.
Lebendigkeit und Licht
Das Neue Testament zeigt uns andere Bilder der Taube. Bei der Taufe Jesu kommt der Heilige Geist wie eine Taube herab. (Mk 1,10) So wird die Taube in der christlichen Tradition generell ein Bild für den Heiligen Geist, der von oben auf uns herabschwebt. In Darstellungen der Dreifaltigkeit wird der Heilige Geist daher oft als Taube dargestellt, die über Jesus schwebt. Sie symbolisiert unsere Sehnsucht, dass der Heilige Geist auch auf uns herabkommen und uns inspirieren möge.
Jesus selbst mahnt seine Jünger: „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.“ (Mt 10,16) Arglos und einfältig zu sein ist auch das Ideal der stoischen Philosophie. Das versinnbildlicht auch, was mit „einfach leben“ gemeint ist: Wir sollen innerlich klar und eins sein mit dem, was wir sprechen und tun. Wir sollten uns ohne Nebenabsichten auf andere Menschen einlassen. Die christliche Kunst hat diese positive Bedeutung aufgenommen und die Taube als Symbol für die Reinheit der Gesinnung dargestellt. Und es gibt Bilder, auf denen die Seele im Zustand des himmlischen Friedens in Gestalt der Taube auf dem Baum des Lebens sitzt. Das ist ein schönes Hoffnungsbild: Wir möchten wie die Taube mit innerem Frieden auf dem Baum des Lebens sitzen, voller Lebendigkeit und innerer Leichtigkeit. Die Sehnsucht danach öffnet unsere enge Welt. Sie hält den Horizont über uns offen. Sie lässt uns der Realität ins Auge sehen, ohne daran zu verzweifeln.