Psalm 8 – In Gottes NamenDie Psalmen als Weg zur Kontemplation

Psalm 8 bietet eine tiefe Meditation über den Gottesnamen. Dabei werden vielfältige biblische Assoziationen eingespielt. Die Rezitation des Gottesnamens konstituiert einen Raum der Rettung.

Bibel
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Am Ende von Ps 7 hatte David angekündigt, den Namen JHWHs zu besingen. Genau das tut er im folgenden Psalm 8. Der Psalm beginnt mit dem Gottesnamen und wird von einem Bewunderungsruf in der 1. Person Plural gerahmt: "JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist Dein Name auf der ganzen Erde!"

Die Offenbarung des Gottesnamens

Von der Erde geht der Blick in der 1. Strophe (V. 2b–3) zunächst hinauf zum Himmel: "Der Du Deinen Glanz ausgebreitet hast über den Himmel." Doch dann schaut der Beter sofort wieder nach unten, zu den Kindern und Säuglingen: "Auf den Schrei von Kindern und Säuglingen hin hast Du gegründet eine Feste, wegen deiner Bedränger, um einhalten zu lassen Feind und Rächer." Der Vers gibt Rätsel auf. Zahlreiche Deutungen wurden vorgeschlagen. Viele haben sich vom Beginn der ersten Strophe verleiten lassen und gemeint, der Psalm sei eine Meditation über die Schöpfung. Das ist er auch, aber nur "am Rande". Das zentrale Thema ist, wie in den Rahmenversen angegeben, der Gottesname.

Meditationen über den geheimnisvollen und in später Zeit nicht mehr ausgesprochenen Gottesnamen JHWH finden sich häufig in jungen Texten des Alten Testaments. Die bekannteste Stelle ist die Offenbarung des Gottesnamens in der Erzählung von der Berufung des Mose am brennenden Dornbusch im Buch Exodus: "Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin, der ich bin. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt. Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Der HERR (JHWH), der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht" (Ex 3,14f).

In Ex 6,3 verbindet Gott die Namenskundgabe mit der Offenbarung im Exodus und kündigt damit eine neue Epoche seiner Selbstkundgabe an: "Ich bin JHWH. Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El Schaddai erschienen, aber unter meinem Namen JHWH habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben." Die Wortverbindung "(mein / dein) Name auf der ganzen Erde" findet sich neben Psalm 8 nur noch in Ex 9,16. Im Kampf, wer der wahre Gott sei, Pharao, der Sohn des Re, oder JHWH, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, soll Mose dem Pharao im Auftrag JHWHs den Sinn der gegen Ägypten gerichteten Plagen erklären: "um dir [Pharao] meine Macht zu zeigen und meinen Namen auf der ganzen Erde bekannt machen".

Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen

Damit ergibt sich folgendes Bild: Nach der Niederschlagung des Aufstandes und der Nachricht vom Tod seines Sohnes Abschalom (Ps 7) tut David genau das, was der auf Zion eingesetzte König tut und tun soll: Er meditiert die Tora (Ps 1,2). Diese beginnt mit der Erschaffung von Himmel und Erde in Genesis 1 und fährt im Buch Exodus fort mit der Rettung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens. Der vom Pharao befohlene Kindermord stellt den Höhepunkt der Grausamkeiten dar (Ex 1,22) und leitet mit der Geburt des Retters Mose, der von der Tochter des Pharao als weinendes Kind in einem im Nil ausgesetzten Binsenkörbchen gefunden wurde (Ex 2,6), die Wende ein.

In einem der jüngsten Bücher des Alten Testaments, dem Buch der Weisheit, wird die erste ägyptische Plage als Strafe für den Kindermord verstanden: "So wurden jene für den befohlenen Kindermord bestraft" (Weish 11,7; vgl. ähnlich 18,5). Kinder und Säuglinge erscheinen im Alten Testament immer als Opfer von Krieg und Gewalt. Sie sind die mit Abstand schwächste Gruppe im Volk: "Meine Augen ermatten vor Tränen, mein Inneres glüht, meine Leber ist zu Boden geschüttet wegen des Zusammenbruchs der Tochter, meines Volkes, da Kind und Säugling verschmachten auf den Plätzen der Stadt", heißt es in den Klageliedern, in denen die Eroberung und Zerstörung Jerusalems und die Deportation eines großen Teils der Bevölkerung beklagt wird (Klgl 2,11).

Ein Bollwerk gegen die Feinde

Damit ergibt sich für Vers 3 folgende Deutung: Auf das Schreien von Kindern und Säuglingen hin hat JHWH eine Feste, ein Bollwerk ('oz) errichtet, um dem Wüten der Feinde Einhalt zu gebieten. Das hebräische Wort 'oz bezeichnet sehr oft die Macht und Stärke JHWHs, mit der er den Schwachen zu Hilfe kommt, indem er dem Wüten der Feinde (Israels) ein Ende bereitet. Als eine solche Macht hat Israel JHWH im Exodus erfahren: "Mein Stärke ('oz) und mein Lied ist der HERR, er ist für mich zur Rettung geworden" (Ex 15,2). Dies gilt insbesondere dann, wenn die von Feinden Bedrängten den Namen JHWHs anrufen, so wie David es in den vorangehenden Psalmen getan hat. Die Psalmen 3, 6 und 7 beginnen mit dem Gottesnamen JHWH. Für das Verständnis unserer Stelle sind besonders jene Psalmen interessant, in denen das Wort "Feste, Macht" ('oz) in Verbindung mit "Name" (schem) vorkommt, denn Psalm 8 ist, wie in den Rahmenversen angegeben, eine Meditation über den Gottesnamen: "Sagt zu Gott: Wie Ehrfurcht gebietend sind deine Taten, vor deiner gewaltigen Macht ('oz) müssen die Feinde sich beugen. Alle Welt bete dich an und singe dein Lob, sie lobsinge deinem Namen (schem)" (Ps 66,3f).

Der Schutz des Gottesnamens

In nachexilischer Zeit wurde dem Gottesnamen JHWH eine apotropäische Wirkung zugeschrieben, das heißt eine Wirkung, die Feinde und Gefahren abwehrt, wenn er ausgesprochen oder als Siegelamulett am Arm oder um den Hals getragen wurde: "Unsere Hilfe ist im Namen des HERRN, der Himmel und Erde erschaffen hat" (Ps 124,8). "Rühmt euch seines heiligen Namens! Die den HERRN suchen, sollen sich von Herzen freuen. Fragt nach dem HERRN und seiner Macht ('oz)" (Ps 105,3f).

Im Hohelied wird in sehr feinsinniger Weise auf die Macht des Gottesnamens angespielt, die stärker ist als der Tod. Im großen Finale des hochpoetischen Werkes bittet die Frau ihren Geliebten (JHWH): "Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm, denn stärker als der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt! Ihre Gluten sind Feuergluten, Flammen-Jahs" (Hld 8,6). Im letzten Wort wird an den Gottesnamen und dessen Offenbarung in den Flammen des brennenden Dornbusches angespielt. Dieser Name, der in Hld 1,2 mit dem Duft ausgegossenen Salböls gleichgesetzt wird, überwindet den Tod (vgl. Joh 1,12).

Die Anrufung des Namens

Damit begegnen wir erneut einem Scharnier zwischen dem Beten der Psalmen und der Kontemplation. Die Grundbewegung des Psalters kann beschrieben werden als die Anrufung des Gottesnamens – in der Not, aber auch im Lobpreis und im Dankgebet, in allen Situationen des Lebens. Die Anrufung kann sich in einer Weise verdichten, dass nur noch der Name in ständiger Wiederholung und im Rhythmus des Atems ausgesprochen wird. Bei diesem Gebet der Sammlung handelt es sich um eine Verinnerlichung und existenzielle Aneignung des monotheistischen Bekenntnisses: "Den Namen eines anderen Gottes sollt ihr nicht aussprechen, er soll nicht über die Lippen kommen", heißt es im Buch Exodus (23,13). In der christlichen Tradition entspricht dem das Jesusgebet, das in der kürzesten Form nur aus der Anrufung des Namens besteht. "Jesus" heißt in seiner ursprünglichen Form Jehoschua / Jeschua übersetzt: "Jahwe hilft / Jahwe ist Rettung".

Nach dem Philipperhymnus hat ihm Gott "den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes des Vaters" (Phil 2,9–11). Vor dem Einbruch der Nacht betet die Kirche in der Komplet Psalm 91. Darin gibt Gott dem Beter die Zusage: "Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen. Ruft er zu mir, gebe ich ihm Antwort. In der Bedrängnis bin ich bei ihm, ich reiße ihn heraus und bringe ihn zu Ehren."

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