Christentreffen mit SchlagseiteWie katholisch wird der Katholikentag?

Wenn am 6. März das Programm des Katholikentags vorgestellt wird, sollte man genau hinschauen: Wird bei gesellschaftlich umstrittenen Themen allen relevanten Meinungen ein fairer Platz eingeräumt – auch den offiziellen kirchlichen Positionen?

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Ist es ein offenes Geheimnis, dass der Katholikentag in Erfurt eine ideologische Schlagseite haben wird? Übermorgen, am 6. März 2024, wird das Programm der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) verantworteten Großveranstaltung offiziell vorgestellt. Seit einiger Zeit zirkulieren bereits Programmentwürfe. Eines der Hauptpodien hat den Titel "Die Auseinandersetzung um Abtreibung und §218". Auf dem Podium sitzt Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen möchte. Mit dieser Meinung steht sie konträr zur katholischen Position, wie sie kürzlich noch einmal vom Katholischen Büro Berlin dokumentiert wurde. Da wäre es zu erwarten, dass auf dem Podium auch eine prominente politische Stimme vertreten sein wird, die dagegenhält – jemand wie die katholische CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker beispielsweise. Doch laut Programmentwurf Fehlanzeige. Mit Lisa Paus sprechen die Juristin Laura-Anna Klein (promovierte über "reproduktive Freiheiten" und bezeichnet den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen als Menschenrecht) und die Historikerin Isabel Heinemann (forscht über "health feminism"). So liegt es wohl an Olaf Tyllack, Bundesvorsitzender von "Donum Vitae" (stellen die kirchenoffiziell nicht gebilligten Beratungsscheine aus) und dem Mainzer Moraltheologen Stephan Goertz (Untertitel aktuelles Buch: "Zeitenwende für die katholische Sexualmoral"), sich gegen ein "Recht auf Abtreibung" auszusprechen.

Dass es gewisse Positionen bei der Programmgestaltung schwer hatten, davon berichtet der ehemalige Oberbürgermeister Erfurts, Manfred Ruge in einem Interview mit Cicero. Er kritisiert, dass von seinen Ideen und denen anderer Ostdeutscher, die im Gremium zum Programmentwurf mitarbeiteten, "nahezu gar nichts aufgenommen wurde". Für ihn drängende Themen wie "Christsein in der Diaspora" oder "Kirchenaustritte und Kirchenbindung" seien nicht vorgesehen gewesen. Stattdessen Podien zu "Der Leib Christi ist queer – und jetzt?" oder "Anti-Gender und die neue Rechte". Politische Ausgewogenheit sei ein Problem. Ruge fragt sich, warum auf dem letztgenannten Podium "keiner sitzt, der eine dezidiert kritische Position dazu bezieht". Zudem seien führende Politiker von der Linken, den Grünen und der SPD eingeladen, den CDU-Spitzenkandidaten für die anstehende Landtagswahl konnte Ruge dagegen nicht durchsetzen.

Dominieren Politiker von Rot und Grün?

Bereits 2022 beobachteten Journalisten beim Katholikentag in Stuttgart, dass Unionspolitiker fast nicht auftauchten und stattdessen Politiker von Rot und Grün dominierten. Manfred Ruges Enttäuschung darüber, "dass am Ende das ZdK es so schiebt und dreht, wie es das ZdK will", war letztlich so groß, dass er als Vorsitzender des Trägervereins zurückgetreten ist.
In einer Studie zur Typologie der Katholikentagsbesucher ist zu lesen, dass immerhin 71 Prozent der Befragten angaben, dass ein Grund für den Besuch des Katholikentags (damals in Regensburg 2014) sei, "um mich über wichtige gesellschaftspolitische Fragen zu informieren und zu diskutieren". Das trifft ein zentrales Anliegen des Events, die Veranstalter sollten sich freuen – aber den Menschen auch ermöglichen, sich ohne ideologische Schlagseite ein eigenes Bild zu machen. 

Das gilt auch für die in den letzten Jahren immer sehr gut besuchten Podien zu innerkirchlichen Frust-Themen, wie der Sexualmoral. Hier konnte man gemeinsam an der "Amtskirche" verzweifeln und unrealistische Forderungen gen Vatikan schicken.

Angesichts eines immer stärker werdenden christlichen Analphabetismus könnte man aller Krisen zum Trotz es auch einmal wagen, die Schönheit des Glaubens in den Mittelpunkt zu stellen und von einer gewinnbringenden Praxis erzählen.

Der Katholikentag ist von seiner Geschichte her "ohne Revolution" nicht zu denken, hat Hubert Wolf einmal gesagt. Heute wäre die wahre Revolution aber eine andere. Das zeigt auch die in der Studie am meisten genannte Motivation, den Katholikentag zu besuchen: "Zum Gewinn neuer religiöser Ideen für mein Leben."

Angesichts eines immer stärker werdenden christlichen Analphabetismus könnte man aller Krisen zum Trotz es auch einmal wagen, die Schönheit des Glaubens in den Mittelpunkt zu stellen und von einer gewinnbringenden Praxis erzählen. Das könnte auch Passanten neugierig machen, die den Katholikentag im Stadtzentrum ja fast nicht umgehen können. Manfred Ruge hat nicht verstanden, warum eine Ausstellung zur in Thüringen beheimateten Sakralkunst gestrichen wurde. Ich verstehe das auch nicht.

Wenn am 6. März das Programm des Katholikentags offiziell vorgestellt wird, sollte man genau hinschauen: Liegt der Fokus darauf, die Positionen der Bundesregierung abzubilden? Oder wird auch anderen relevanten Meinungen ein fairer Platz eingeräumt? Wer politisch diskutieren will, muss die Breite des Meinungsspektrums abbilden. Damit würde die Veranstaltung, derer Organisatoren ja sonst viel über Partizipation und Demokratie sprechen, übrigens auch denen gerecht, die sie (mit ihren hohen Kosten) finanzieren: den Kirchenmitgliedern, aber auch den regulären Steuerzahlern. Und die kommen nicht nur aus einer Ecke.

Gerade bei einer Veranstaltung, die das Prädikat "katholisch" für sich reklamiert, sollte dem Publikum auch bei gesellschaftlich umstrittenen Themen die offizielle kirchliche Position wenigstens nicht vorenthalten werden. Andernfalls hätte der Katholikentag seinen Markenkern aus dem Blick verloren.

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