Die Sorge um unseren Leib hat eine spirituelle DimensionDas Fleisch ist das Eingangstor zum Heil

Die Schulpastoral hat es in ihren Berührungspunkten mit Schule und Kirche gleich mit zwei gestressten und krisenerfahrenen Institutionen zu tun. Wo sie deren Mechanismen reflektiert und deren strategische Interessen erkennt, kann sie sich notwendige Freiheit für eine zugewandte Pastoral erhalten und darin zu einem hilfreichen Lernfeld werden.

Nur wenn unsere Wurzeln tief in die Erde reichen, um uns mit genügend Wasser  zu  versorgen, verfügen wir über die Lebenskräfte und Lebenssäfte, die Voraussetzung dafür sind, dass wir Lust und Freude am Leben, an unserer Arbeit erfahren können. Wir dürfen daher gerade auch als spirituelle Menschen nicht die Bodenhaftung verlieren, wollen wir in unserer persönlichen spirituellen Praxis und in unserem Dienst als Seelsorger und Seelsorgerin im Äther blühen und Früchte tragen.

„Alles Leben als Mensch ist Leben im Leib“

Alles was wir im Leben tun, was wir denken, was wir fühlen, hat immer auch etwas mit unserem Leib und seiner Beschaffenheit zu tun. Es beginnt schon einmal damit, dass wir dazu unseres Leibes bedürfen. „Alles Leben als Mensch ist Leben im Leib“, schreibt der Benediktiner Meinrad Dufner. Das trifft auch auf das geistliche Leben zu, das einen Leib braucht, damit es gelebt werden kann. Gelebte Spiritualität ist verankert in unserem Leib. Folgerichtig werden daher auch, so Irenäus von Lyon, „Geister ohne Körper“ niemals spirituelle Männer und Frauen sein.
Wenn es sich aber so verhält, ist es nicht nur berechtigt, sondern sogar notwendig, dass uns das Wohlbefinden unseres Körpers ein wichtiges Anliegen ist. Wir schaffen damit gute Voraussetzungen dafür, dass wir uns auch in anderen Bereichen unseres Lebens, darunter im spirituellen Bereich, wohlbefinden, das, was wir tun wollen, gedeihen kann, Früchte abwirft. Das aber heißt, die Sorge um unseren Leib, seine Pflege, kann genauso wichtig sein für unser Wohlbefinden als Seelsorger und Seelsorgerinnen wie ein regelmäßiges Gebetsleben. Sie ist mit die Voraussetzung dafür, dass von unserer Spiritualität Lebendigkeit ausgeht.

Ich bin doch für die anderen da

Manche Seelsorger reizt das vielleicht zum Widerspruch. Sie sagen:
„Ich bin doch für die anderen da, will für sie sorgen. Wie kann ich mir da den Luxus erlauben, mich um mich selbst, dazu noch um meinen Leib, zu kümmern?“ Es kann eine Weile dauern und manchmal müssen dem erst schmerzhafte Erfahrungen vorausgehen, bis sie erkennen und dann auch akzeptieren, dass genau deswegen, weil sie für die anderen da sein wollen, weil es ihnen wichtig ist, dass ihre Beziehung zu Gott lebendig bleibt, sie die Sorge um ihren Leib nicht vernachlässigen dürfen.
Eine angemessene Sorge um unseren Körper ist die Voraussetzung dafür, um Freude und Zufriedenheit bei der Arbeit zu erfahren, um kreativ und fruchtbar zu bleiben. Es ist die Voraussetzung dafür, um bei allen Durststrecken, die immer wieder auch einmal vorkommen, eine lebendige Beziehung zu Gott zu leben und pflegen zu können, die uns zu nähren vermag. Vernachlässigen Seelsorger die Sorge um ihren Leib, kann das zur Folge haben, dass ihnen mit der Zeit ihr Leben und ihre Arbeit immer weniger Freude bereiten, immer häufiger depressive Stimmungen bis hin zu Depressionen oder körperliche Beschwerden wie Probleme mit dem Kreislauf, Herzbeschwerden oder Schwindelgefühle sich einstellen. Das Gebetsleben wird zur Pflicht, erstarrt in der Routine, wird immer weniger, bis es vielleicht sogar gar nicht mehr stattfindet. Andere wieder geraten in eine seelische Krise, die sie zwingt, ihre Arbeit zu unterbrechen oder gar ganz aufzugeben.
Hier kann es helfen, hinzuschauen, was ich als Seelsorger und Seelsorgerin ausstrahle. Leider ist es ja oft so, dass die Eigenwahrnehmung sich mitunter beträchtlich von der Außenwahrnehmung unterscheidet. Will man wirklich wissen, welche Ausstrahlung von einem ausgeht, bedarf es der Bereitschaft und des Mutes, sich der liebevollen und zugleich kritischen Rückmeldung anderer zu stellen. Ich begegne immer wieder Personen, die sich selbst für sehr spirituell halten, die ich aber, wenn ich ihnen begegne, aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbildes und dem, was sie ausstrahlen, als wenig überzeugend erlebe. Ich spüre intuitiv, was sie sagen oder predigen, passt nicht zusammen mit dem, wie sie auf mich wirken: ungepflegt, unmäßig im Essen, im Trinken und Rauchen, gebeugt einhergehend, freudlos und griesgrämig dreinblickend usw. Sie erwecken nicht den Eindruck eines Baumes, der Früchte trägt, der Lebendigkeit und Fruchtbarkeit ausstrahlt.

Ich bin gerne mein Leib

Um als Seelsorger, als Seelsorgerin ein solcher Baum sein zu können, muss ich mich um mich kümmern, muss ich etwas für meinen Körper oder besser meinen Leib tun. Denn die Sorge um unseren Körper meint mehr, als uns zu schonen, körperlich kürzer zu treten, unseren Körper zu pflegen, uns genügend zu bewegen usw. Bei der Sorge um unseren Körper geht es um uns als ganze Person, um unser körperliches und seelisches Wohlergehen. Karlfriedrich Graf Dürckheim, der Begründer der initiatischen Therapie oder auch Leibtherapie spricht daher lieber vom Leib, um deutlich zu machen, dass unser Leib mehr ist als unser Körper, den wir trainieren, um funktionstüchtig und leistungsfähig zu sein, und den wir meinen, wie ein Instrument bedienen zu können.
Dürckheim  plädiert dafür, uns dessen, was wir Körper nennen, als des Leibes, der wir sind, innezuwerden. Damit verlasse ich die Beobachterrolle, von der aus ich äußerlich meinen Körper betrachte und bekomme zunehmend ein Gespür dafür, dass ich selbst mein Leib bin. Ich trete in Beziehung zu ihm, komme auf diese Weise in Berührung mit ihm und werde zunehmend sensibler für ihn. Das geht damit einher, dass ich mit meinem Leib achtsam und respektvoll umgehe. Er ist für mich nicht länger ein Esel, den ich schinde, vernachlässige, ausbeute. Jetzt begegne ich ihm ehrfurchtsvoll, behutsam und zärtlich. Ich möchte, dass mein Leib Ausdruck meiner selbst ist, ich mich gerne in ihm aufhalte, mich in ihm und mit ihm wohlfühle. Ich gerne mein Leib bin.

Dem Leib und damit uns selbst unsere Aufmerksamkeit schenken

Ich stelle in der therapeutischen Begegnung mit Seelsorgern und Seelsorgerinnen oft fest, wie sehr sie zum Teil Raubbau mit ihrem Leib treiben, ihm zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Zu oft nehmen sie die Müdigkeit, die ihnen ihr Körper signalisierte, nicht ernst. Sie vergessen immer wieder und müssen, manchmal auch durch ihren Körper selbst, daran erinnert werden, dass sie nicht über unerschöpfliche Reserven verfügen, aus denen sie unbegrenzt schöpfen und die sie ungestraft einfach ausbeuten können. Andere merken gar nicht mehr, wie lieblos und rücksichtslos sie mit ihrem Leib umgehen, wenn sie zu viel essen und trinken oder rauchen.
Hier geht es darum, Seelsorgern zu helfen, zunächst einmal ihren Leib zu würdigen, ihm nicht weniger Bedeutung und Wertschätzung entgegenzubringen als zum Beispiel der Pflege ihres geistlichen Lebens oder ihrer Sorge für andere. Es geht darum, auch über ihren Leib mit sich selbst in Beziehung und in Berührung zu kommen. Sie tragen die Verantwortung für ihn. Sie entscheiden, ob sie ihren Leib und damit sich selbst wie einen Esel behandeln, den sie mit Fußtritten dazu antreiben, noch mehr zu leisten, oder ob sie mit ihm wie mit einem Esel umgehen, den sie pfleglich behandeln, weil sie ihm dankbar dafür sind, dass er sie trägt, und von dem sie erwarten, dass er das noch lange tut.

Sich bewegen und noch einmal sich bewegen

Wie kann diese Sorge um unseren Leib aussehen? Der Arzt Andrew Weil sieht einen engen Zusammenhang zwischen Berührung und körperlicher Gesundheit. Er plädiert daher dafür, Formen zu finden, die es uns ermöglichen, körperliche Berührung zu erfahren. Eine Form, für die er sich besonders stark macht, ist die Massage, die man sich regelmäßig gönnen sollte. Bei einer Massage werde ich liebevoll, respektvoll und zärtlich von einer anderen Person berührt, und ich habe Gelegenheit, einen anderen auf die gleiche Weise zu berühren. Von der Berührung geht eine heilende Wirkung aus, die sich positiv auf unser körperliches und seelisches Wohlbefinden auswirkt.
Wir tun etwas für unseren Leib, um unter vielen Möglichkeiten, die wir haben, ein weiteres Beispiel zu nennen, wenn wir uns regelmäßig bewegen. Gerade sind wieder neue Studienergebnisse veröffentlicht worden, nach denen die Deutschen sich zu wenig bewegen. Mindestens 22 Minuten sollten wir uns am Tag bewegen. Die Akademiker bewegen sich amwenigsten. Jene, die sichmehr bewegen, leben in der Regel länger. Wer darüber hinaus auch noch etwas für seinen Muskelaufbau tut, indem er in ein Fitnessstudio geht, fördert seine körperliche Ausdauer und schützt sich vor Unfällen, die durch Stürze herbeigeführt werden.
Die klare Botschaft ist hier: sich bewegen und noch einmal sich bewegen. Es liegt an uns, ob wir den inneren Schweinehund überwinden können und statt uns körperlich gehen zu lassen, im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung bleiben. Das Bewusstsein, damit nicht nur unserem Körper etwas Gutes zu tun, sondern uns als ganzem Menschen, mit allem, was uns ausmacht, einschließlich unserem spirituellen Leben, sollte uns zusätzlich motivieren, das dann auch zu tun und uns nicht durch Ausreden wie: „Ich bin zu faul“, „Ich werde mich nicht mehr ändern“, „Ich habe keine Zeit dafür“, „Es ist zu warm, zu kalt, es regnet“, „Vielleicht fange ich nächste Woche damit an“, davon abhalten zu lassen.
Von dem Bamberger Erzbischof Schick weiß ich, dass er regelmäßig in der Frühe joggen geht. Der verstorbene geistliche Schriftsteller Henri Nouwen berichtet davon, dass er sich ein Leben lang zu wenig um seinen Körper gekümmert hat. Ihm erging es wie dem heiligen Franziskus, der, als es schon zu spät war, bekennen musste: „Ich war zu hart gegen Bruder Esel.“ Er meinte damit seinen Leib, der jetzt für ihn zum Bruder Leib geworden war. Henri Nouwen besuchte ermutigt durch einen Freund in seinem letzten Lebensjahr einige Male ein Fitnesscenter. Der Aufenthalt im Fitnesscenter erinnerte ihn an eine Folterkammer, „in der Männer und Frauen ächzen und stöhnen, wenn sie die ‚Tretmühle‘ antreiben, Gewichte heben und sich im Dampfbad kochen lassen“.

Mens sana in corpere sano

Mir erging es bei einem Besuch in einem Fitnesscenter anders. Das ausführliche Vorgespräch mit einem Mitarbeiter des Clubs machte mir zunächst bewusst, wie wichtig es ist, unserem Körper unsere Aufmerksamkeit zu schenken und achtsam mit ihm umzugehen. Ich habe das über viele Jahre anderen gepredigt und natürlich auch immer wieder versucht, es selbst zu praktizieren, indem ich regelmäßig laufen oder schwimmen ging. Doch tatsächlich habe ich immer wieder meinen Körper sträflich vernachlässigt, mich zu wenig bewegt, meinem Körper Schaden zugefügt, indem ich zu viel gegessen oder mich nicht gesund ernährt habe. Das kann man im Alltag alles schön zudecken und übergehen. Bis man dann in einem Fitnesscenter damit konfrontiert wird, wie sehr man in vielen Bereichen, was Gewicht, Körperfettmasse, Muskelmasse usw. betrifft, von der Norm abweicht. Mich hat das wieder sensibler dafür gemacht und an die Inschrift erinnert, die deutlich sichtbar in der Turnhalle meines Würzbuger Gymnasiums angebracht war: mens sana in corpere sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Das lässt sich auch von unserer Spiritualität sagen. Soll sie gesund sein, bedarf sie eines gesunden Leibes. Denn, so Tertullian, caro cardo salutis, das Fleisch ist das Eingangstor zum Heil.

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