Viele Perspektiven 60 Jahre nach „Gaudium et Spes“Weiterhin Kirche in der Welt

Dogma und Pastoral stecken in einer Art „Beziehungskrise“, schreiben die Theologen Bernd Hillebrand und Michael Quisinsky zu Beginn des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes anlässlich des 60. Jubiläums der Promulgation von „Gaudium et Spes“: „Wissenschaftliche Theologie argumentiert nicht selten ohne Bezug zur kirchlichen Praxis, die ihrerseits immer mehr ohne Bezug zur wissenschaftlichen Theologie auszukommen scheint.“ Es sei die Frage zu klären, wie beide gemeinsam ihren Dienst in der Gesellschaft wahrnehmen könnten. Diesem Auftrag gehen sodann rund 40 Autorinnen und Autoren, sowohl aus der wissenschaftlichen Theologie als auch aus praktischen Feldern kommend, auf mehr als 600 Seiten nach. Dabei blicken sie in zehn thematisch gegliederten Kapiteln mit vielfältigen Methoden und Perspektiven auf die Konzilskonstitution.

In dem rundum vielschichtigen Band stechen insbesondere jene Kapitel besonders interessant hervor, die sich mit den Leerstellen beschäftigen – den Themen, die die Konstitution nicht im Blick hatte, die in der Rezeption nicht oder nur am Rande behandelt werden oder die die Grundlage für künftige Rezeption bilden können. So skizziert etwa Sonja Angelika Strube die Bedrohung durch identitäre rechtsautoritäre Kreise und folgert, dass es nicht nur eine wehrhafte Demokratie brauche, es bestehe auch innerkirchlich der Bedarf „eines wehrhaften Katholizismus, der die universelle Weite des Katholischen gegen sektiererische Fundamentalismen verteidigt“. Michelle Becka denkt im Rekurs auf Alfons Auer nach, was „verantwortete Zeitgenossenschaft“, die sich auch auf künftige Generationen bezieht, heute bedeutet, und Franca Spies fragt nach den der Konstitution innewohnenden Potenzialen für heutige Diskriminierungskritik.

Natürlich vermag es der vorliegende Sammelband nicht, die sich über Jahrzehnte vertiefte Beziehungskrise vollumfänglich aufzulösen. Schließlich, so schreibt es Annette Langner-Pitschmann in ihrem Beitrag über Dogma und Pastoral im Horizont der Säkularität: „Echte Verständigung im Kontext einer pluralen Gesellschaft ist Arbeit.“ Wichtige Beziehungsarbeit leistet der Band allemal – und dürfte sich somit als eine der künftigen Grundlagen zur heutigen Auseinandersetzung mit „Gaudium et Spes“ erweisen. Annika Schmitz

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Bernd Hillebrand, Michael Quisinsky (Hg.)

Verlag Herder, Freiburg 2025, 616 S., 75,00 € (D)