Titel wie Untertitel dieses dickleibigen Buchs machen neugierig. Schließlich soll es um ein nicht nur für Theologie und Kirche, sondern auch für politische und gesellschaftliche Akteure wichtiges Thema gehen. Der demokratische Rechtsstaat ist zwar in weiten Teilen Europas selbstverständlicher staatlicher Ordnungsrahmen, steht aber unter Druck durch autoritär-nationalistische Strömungen. Die katholische Kirche wiederum ist dabei, ihr Rechtssystem unter dem Stichwort Synodalität zu verflüssigen. Der Luzerner Kirchen- und Staatskirchenrechtler Adrian Loretan vertritt in diesem Spannungsfeld eine klare These. Sein Fazit: „Das Naturrechtsdenken des Mittelalters, das mit einer säkularen Vernunft argumentieren konnte, lieferte für das säkulare Vernunftdenken der Aufklärung entscheidende Grundlagen, die zur Entwicklung des modernen Rechtsstaats anregten.“
Loretan greift auf die Antike und die Ursprünge des Christentums zurück, widmet sich ausführlich dem Mittelalter und analysiert die menschen- und völkerrechtlichen Ansätze in der spanischen Spätscholastik, die die Brücke zum säkularen Staatsdenken in der Moderne mit den Bezugspunkten Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten und Französische Revolution schlagen. Abschließend untersucht er die staatskirchlichen Entwicklungen in der Schweiz und der Bundesrepublik seit dem Westfälischen Frieden. Einer seiner Kronzeugen ist Jürgen Habermas mit seinem großen Alterswerk „Auch eine Geschichte der Philosophie“.
Das materialreiche Buch bietet zweifellos viele Anknüpfungspunkte für weiterführende Diskussionen zur Geschichte und Zukunft des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften wie zum weiteren Weg der katholischen Kirche, die sich ihr vom Autor überzeugend herausgearbeitetes menschenrechtliches Erbe, vor allem durch das Zweite Vatikanische Konzil, erst wieder aneignen musste. Es untermauert seine Grundthese allerdings durch eine überzogen wirkende Fülle von Zitaten; manche Exkurse und unnötigen Wiederholungen erhöhen nicht die Lesbarkeit. So bietet das Werk insgesamt eher einen Steinbruch zu einem spannenden Thema als einen griffigen Beitrag zu dessen Klärung. Ulrich Ruh