Zu den irritierenden Narrativen in den ersten beiden Wochen des Treffens der Weltsynode im Oktober gehörte der Abgesang auf das Christentum in Europa.
Zwar ist es seit Jahrzehnten keine Frage, dass die Kirchen auf dem Kontinent schrumpfen und ihre Bedeutung abnimmt, während andernorts, vor allem in Afrika und auch in Asien, die Anzahl der Christen steigt. Das wird die regionalen Gewichte im Christentum insgesamt weiter stark verschieben, wie beispielsweise der Religionssoziologe Philipp Jenkins schon vor mehr als zwei Jahrzehnten aufgezeigt hat. Und dies wird auch die Auseinandersetzung zwischen traditionell orientierten, gar vormodernen Katholiken einerseits und von der europäischen Aufklärung geprägten Katholiken andererseits im Kontext Weltkirche erschweren (vgl. HK, Mai 2004, 235–240).
Es kann jedoch keine Rede davon sein, dass in Europa die Kirchen einfach nur „leer“ stünden und sich die Kraft des Christentums erschöpft hätte, wie von ganz unterschiedlichen Seiten insinuiert wurde. Im Weltkatholizismus sei Europa inzwischen die Peripherie, hieß es. Und es sind nicht nur Bischöfe und Theologen anderer Kontinente, die in dieses Horn stoßen. Auch Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien und eine der prägenden Gestalten der vergangenen Jahrzehnte, bekräftigte gleich zu Beginn der Synode, dass Europas Bedeutung im Schwinden begriffen sei. Gerade die Kirche in Europa müsse „eine hörende Kirche werden – hören auf das, was die Kirchen der südlichen Hemisphäre uns zu sagen haben, wie sie die Dinge sehen, wie dort die Dinge sich entwickeln“. Der Blick bereits auf die ersten Redelisten der Synode zeige, dass die überwiegende Mehrheit der zu Wort kommenden Bischöfe, Laien und Ordensfrauen aus dem Globalen Süden stamme. Der Katholizismus in Afrika sei „frühlingshaft, man spürt, diese Kirchen sind lebendig“, so Schönborn.
Dabei ist offensichtlich, dass es bei allen Rückgängen auch in Europa weiterhin großes Engagement und ansteckende Lebendigkeit gibt, die die katholische Kirche zu einem weiterhin wichtigen Faktor gesellschaftlichen Lebens macht – regional natürlich durchaus unterschiedlich. Umgekehrt räumte schon in der ersten Woche ein afrikanischer Bischof vor der Presse ein, dass es auch auf seinem Kontinent Säkularisierungsprozesse gebe und junge Menschen teilweise schwerer für die Kirche zu begeistern seien als in früheren Zeiten.
Wieder wusste der Papst zu überraschen
Papst Franziskus hatte bisher schon stärker als seine Vorgänger den unzweifelhaften Veränderungen der Gewichte im Weltkatholizismus Rechnung getragen, wenn es um die Ernennung neuer Kardinäle ging. Vor der Weltsynode war ersichtlich, dass die Zahl der Papstwähler von derzeit 122 Köpfen bald unter die Idealzahl von 120 rutschen würde und mit der Ankündigung eines Konsistoriums zu rechnen sei – auch wenn Franziskus mit dem konkreten Zeitpunkt durchaus wieder einmal überraschte. Denn für den ersten Sonntagnachmittag am Vorabend des 7. Oktober hatte er ein Friedensgebet in seiner Lieblingskirche Santa Maria Maggiore angesetzt, dessen Nachrichtenwert er selbst nur wenige Stunden vorher relativierte. Denn am Ende des Angelusgebets zog er einen Zettel hervor und nannte die Namen von 21 Bischöfen, die Anfang Dezember zum Kardinal kreiert werden sollen.
Nur der 99-jährige Erzbischof Angelo Acerbi, lange im diplomatischen Dienst des Vatikans tätig, hat die Altersgrenze von 85 Jahren überschritten, die anderen 20 Ernannten sind prinzipiell papstwahlberechtigt. Insgesamt liegt dieses Konsistorium ganz auf der Linie der bisherigen Ernennungen: Europäische Namen wie Ladislav Nemet, der Erzbischof von Belgrad, bilden die Ausnahme, das Kardinalskollegium wird mit Blick auf die kontinentale Verteilung noch diverser. Das gilt für die – wenn keine Todesfälle zu beklagen sind – am 7. Dezember insgesamt 256 Kardinäle, vor allem aber für die 141 wahlberechtigten, von denen inzwischen ungefähr vier Fünftel von Franziskus ernannt worden sind. Während im gesamten Kardinalskollegium aktuell noch fast die Hälfte aus Europa stammt, wird dies Anfang Dezember unter den Papstwählern nur noch auf etwas mehr als 40 Prozent zutreffen. Konkret werden 57 Kardinäle Europa zugerechnet, 25 Asien, 21 Lateinamerika, 18 Afrika, 16 Nordamerika und vier Australien und Ozeanien.
Jüngster Neuernannter ist mit 44 Jahren der Bischof der ukrainischen Eparchie Sankt Peter und Paul in Melbourne, Mykola Bychok, während der Kiewer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Oberhaupt der ukrainisch-katholischen Kirche, mutmaßlich aufgrund seiner Kritik am Kurs des Vatikans gegenüber Russland, nicht ernannt wurde. Zu den bedeutenderen Neuernannten gehören auch der Erzbischof des brasilianischen Porto Alegre, Jaime Spengler, der nicht zuletzt Präsident des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM ist, sowie der Italiener Baldassarre Reina, der zugleich zum Generalvikar des Bistums Rom ernannt wurde und damit eine besondere Rolle für den Bischof von Rom spielen wird.
Es fällt auf, dass die Zahl der Italiener weiterhin überproportional hoch ist. Das führt dazu, dass die Europäer mit Blick auf die Zahl der Katholiken weltweit weiterhin überproportional vertreten sind. Der Mailänder und der Florentiner Erzbischof wurden zwar abermals übergangen, genauso wie viele andere Inhaber von Bischofsstühlen, die traditionell mit der Kardinalswürde bedacht worden waren. Immerhin wird der mit 57 Jahren vergleichsweise junge Erzbischof von Turin, Roberto Repole, Anfang Dezember Kardinal. Insgesamt wird es voraussichtlich nach dem Konsistorium 60 Italiener im Senat des Papstes geben. Dazu kommen Kurienmitarbeiter, wie jetzt neu der Reisemarschall des Papstes, der Inder George Jacob Koovakad. Das abermals leer ausgegangene Deutschland verzeichnet noch sechs Kardinäle, von denen allerdings nur drei wahlberechtigt sind: der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki. der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, sowie der emeritierte Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller. Der letzte von Papst Franziskus ernannte deutsche Kardinal war 2015 der inzwischen verstorbene ehemalige Nuntius Karl-Josef Rauber.
Insgesamt neun der neuen Kardinäle waren im Übrigen Mitglieder des zweiten Treffens der Weltsynode. Das erklärt, warum Papst Franziskus möglichst schnell klare Verhältnisse schaffen wollte. Besondere Aufmerksamkeit unter den Neuernannten – nicht nur auf der Weltsynode – zog der 79-jährige Dominikaner Timothy Radcliffe auf sich. Er verantwortete wie im vergangenen Jahr die Einkehrtage und die spirituellen Impulse für die Weltsynode (vgl. HK, August 2024, 56). Radcliffe stammt aus London und war unter anderem von 1992 bis 2001 Generalmeister der Dominikaner in Rom. Er engagierte sich in der britischen Friedensbewegung und war wie der US-amerikanische Jesuit James Martin einer der Ersten, der sich der Seelsorge unter überwiegend homosexuellen Männern widmete, die an Aids erkrankt waren.
Der Europäer Radcliffe macht sich keine Illusionen über die Zukunft des Katholizismus auf dem Kontinent. „Im Westen scheint Gott weitgehend verschwunden zu sein“, so Radcliffe am Beginn der Synode. Er fügte freilich gleich hinzu: „Aber alle Christen überall sind Suchende nach dem Herrn.“
Der britische Ton war gesetzt
Allein in seinen vier Meditationen an den ersten beiden Tagen hatte er mit britischem Humor bereits einen Ton für die kommenden vier Wochen gesetzt, der aufhorchen ließ (vgl. das nächste Heft). Seine Reflexionen zu dem 20. und 21. Kapitel des Johannesevangeliums spickte er mit reichlich Anekdoten, die jeweils passgenau vertieften, was er von der Bibel her auch für das Geschehen in der Weltsynode als wesentlich ansah.
Radcliffe warb für ein geduldiges und offenherziges Zuhören und warnte davor, in den anderen „Vertreter von Parteien in der Kirche“ zu sehen: „dieser schreckliche konservative Kardinal, diese beängstigende Feministin!“ – und es gelang ihm immer wieder, Skeptiker anzusprechen: „Seit der letzten Vollversammlung haben viele Menschen, auch die Teilnehmer dieser Synode, ihre Zweifel daran geäußert, ob überhaupt etwas erreicht werden kann.“ Ganz im Sinne der in der Bibel berichteten Zweifel würden sie sagen: „Wir haben so viel von der Synode erwartet, aber vielleicht sind es nur mehr Worte“.
Nicht zuletzt die Auslagerung heikler Themen, wie beispielsweise die Frage nach einem Frauendiakonat, in zehn Studiengruppen hatte dazu geführt, dass die Erwartungen vieler Teilnehmer eher gedämpft waren – und die Causa Frauen von Beginn an für Unruhe sorgte.
Radcliffe erklärte in Anspielung darauf: „Wir alle kennen diese Momente, in denen wir nichts zu erreichen scheinen. Die anfängliche Begeisterung ist verblasst. Ich wette, dass einige von uns das zu Beginn der zweiten Vollversammlung spüren. Diejenigen, die mit Enthusiasmus und Aufregung begonnen haben, fragen sich vielleicht, ob wir überhaupt etwas erreichen. Einige von uns haben ohnehin nie geglaubt, dass wir das tun.“ Grundsätzlich sei die häufigste Frage, die ihm in den vergangenen elf Monaten gestellt wurde, gewesen: „Wurde etwas erreicht? Ist nicht alles nur Zeit- und Geldverschwendung?“
Dabei ging es Radcliffe um ein weises Austarieren der schroffen Gegensätze zwischen progressiv und konservativ: „Wir alle kennen die Angst, verletzt zu werden. Einige von uns kommen mit der Sorge zu dieser Generalversammlung, dass wir keine Anerkennung und Akzeptanz finden werden. Unsere wertvollen Hoffnungen für die Kirche könnten verhöhnt werden. (…) Trauen wir uns zu sprechen und riskieren wir Ablehnung? Wenn man nicht an die Welt des Vatikans gewöhnt ist, mit ihren grandiosen Titeln und seltsamen Kleidern, kann das einschüchternd sein.“ Und: „Unsere große Liebe zur Kirche kann uns paradoxerweise auch engstirnig machen: die Angst, dass sie durch zerstörerische Reformen, die die Traditionen, die wir lieben, untergraben, Schaden nimmt. Oder die Angst, dass die Kirche nicht zu dem offenen Haus wird, nach dem wir uns sehnen. Es ist sehr traurig, dass die Kirche oft von denen verletzt wird, die die Kirche lieben, aber anders!“
Hätte es bessere Worte zum Start in die Synode gegeben? Die Impulse dieses Europäers werden nicht nur dem Kardinalskollegium auch über die Weltsynode hinaus guttun.