ZeitfragenKann man auch ohne Religion glauben?

Im Dezember 2020 fragte die Süddeutsche Zeitung, ob man auch ohne Religion glauben könne. Und meinte damit den Leistungsdruck, den viele mit Religion verbinden. Geht es denn wirklich ohne? Und was könnte positiv damit gemeint sein?

Netz aus Seilen.
Religion gibt einen Halt mit ihren Ritualen, die den Menschen die Bindung an Gott vermitteln.© iStock by Getty Images: Jarq

Ganz persönlich

Zunächst ist Glauben etwas ganz Persönliches. Es geht darum, ob ich an Gott glaube, an etwas, was größer ist als ich selbst, ob ich mein Leben aus diesem Glauben und aus einem Getragensein heraus lebe. Glaube ist also ein sehr persönlicher Weg. Und Glaube hat auch mit Entscheidung zu tun. Ich kann mich zwar nicht entscheiden, zu glauben. Aber ich kann mich entscheiden, offen zu sein für das Geheimnisvolle, Numinose, für das, was größer ist als ich selbst. Wenn manche die Religion mit Leistungsdruck verbinden, so drückt sich damit die Erfahrung aus, die sie als Kinder oder Jugendliche mit der Religion gemacht haben, wie sie ihnen von ihren Eltern und von der Kirche vermittelt worden ist. Diese Art von Religion gilt es hinter sich zu lassen und sich dem persönlichen Glauben gegenüber zu öffnen.

Gemeinschaft und Halt

Auch wenn der Glaube eine persönliche Entscheidung ist, tut uns doch die Gemeinschaft gut. Es tut uns gut, den Glauben mit anderen Menschen zu teilen. Gerade wenn unser Glaube schwach zu werden droht, hilft es uns, uns getragen zu wissen vom Glauben anderer. Und die Religion als etwas auch sozial Vorgegebenes kann uns einen guten Rahmen für unseren persönlichen Weg vorgeben. Das bedeutet nicht, dass wir alles glauben müssen, was uns die Religionsvertreter sagen. Religion kommt von „religare = anbinden“. Religion gibt einen Halt mit ihren Ritualen, die den Menschen die Bindung an Gott vermitteln. Die Religion ist als System Ordnung auf Gott hin. Und das tut dem Menschen in Zeichen von Instabilität und Auflösung von Ordnung durchaus gut.

Erkennen, worauf es ankommt

Der politische Theologe Johann Baptist Metz hat es pointiert so formuliert: „Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung.“ Die Religion unterbricht unser durch den Mainstream geprägtes Leben und öffnet uns die Augen für den Einbruch, den das Göttliche für uns darstellt. Und dieses Einbrechen des Göttlichen, das uns in Frage stellt, tut uns gut. Es öffnet uns die Augen, damit wir erkennen: Worauf kommt es eigentlich an? Daher möchte ich Religion und Glauben nicht gegeneinander ausspielen. Natürlich kann man eine Zeit lang ohne Religion glauben. Aber auf Dauer ist Religion eine Hilfe und Bestärkung unseres ganz persönlichen Glaubens.

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