Roberta Dapunt: Synkope

Es war eine Entdeckung, und sie liegt schon einige Jahre zurück. Die Dichterin Roberta Dapunt las in der Kulturbrauerei in Berlin und sprach zusammen mit Peter Waterhouse, einem ihrer Übersetzer, über ihre Gedichte aus dem Band dies mehr als ein paradies (Wien/Bozen 2016). Roberta Dapunt lebt auf einem Südtiroler Bauernhof in Abtei/Badia. Sie schreibt auf Italienisch und in ihrer Muttersprache Ladinisch. Ich war fasziniert. Von der Lyrikerin und von ihrem Übersetzer. Mittlerweile sind zwei weitere Bände in deutscher Übersetzung von ihr erschienen: die krankheit wunder (Bozen 2020) und Synkope (Bozen 2021). Für den Gedichtband Sincope (2018) erhielt sie den sehr renommierten Preis Premio Letterario Internazionale Viareggio Repaci per la Poesia. Ich habe weitergelesen und die Faszination hat sich erhalten.

Mehr denn je jetzt bin ich bedürftig der stille
Und des weinens weitend die sinne,
der tränen, räume reich an einzigartiger einsamkeit. (…)
Schlafe und sterbe klanglos seit langem
und schreibe für nichts und nenne mich dichterin,
renne an die großen die ich liebe.»

(dies mehr als ein paradies, 9)

Roberta Dapunts Gedichte bewegen sich in den Rhythmen des bäuerlichen Lebens, alltäglicher Besorgungen und immer wieder in den Wiederholungen christlicher Riten und Rituale. Sie sind Anrufungen der Einsamkeit und der Stille, des Geborenwerdens und Sterbens, der Sehnsucht nach Geborgenheit in der Natur, dem Aufgehobensein in ihr und dem ewigen Rhythmus des einander Nährens und Verzehrtwerdens, des Aufblühens im Wechsel der Jahreszeiten, der Leibwerdung der Worte und der Sprache und des Verschwindens einst im Tod. In all dem sind sie Ansprache eines anonymen, verlorenen Gegenübers, Suche nach dem Anderen, der tröstet und die Einsamkeit überwindet.

Einziges entrinnen wäre vielleicht das enden beenden?
Umarmend endlich das leben.
Denn allein ist der leib zu lieben dies mehr als das paradies,
allein ist das fleisch zu essen das brot und trinken den wein. (…)
Mich bewegt nichts zum schnitt,
denn drinnen wächst mir nicht gras.
Mir gibt nichts grund für poesie,
wegen der mir modern die worte im mund
die noch gar nicht gelesenen.

(dies mehr als ein paradies, 9)

Die Diktion der Gedichte ist lakonisch und trocken, Sätze duften wie gemähtes Heu, andere haben Fügungen wie hartes Holz, wie Brennholz, das wartet, verbrannt zu werden. Liturgische Erinnerungen durchziehen das bäuerliche Alltagsleben wie traurige Sehnsuchtsfäden nach dem Aufgehobensein jenseits der Natur in irgendeiner Form der Gemeinschaft, die der Natur nahekommt. Wer indes denkt, dass die Idylle dörflicher Gemeinsamkeit jene Nähe einlöst, die man sich gemeinhin von ihr verspricht, wird von Roberta Dapunt enttäuscht. Die Nähe des ländlichen Lebens ist und bleibt Ort tiefer Einsamkeit.

Roberta Dapunt ist eine Dichterin der Stille, ihrer verschiedenen Formen, deren innigste Form sich als Stille des Körpers beschreiben ließe. Die Stille in dem eigenen Körper selbst, die sich aus den verschiedenen Stillen des Lebens aufgebaut hat, deren Wiederholungen der Mensch durchläuft und für die er seine (inneren) Ohren ausbilden muss.

Wächst dieser Körper indem er sich nährt an meinen Stillen,
ernährt sich, hält die Last meines Fleisches lebendig,
mein Blick auf mich ein erbärmliches Sich-Abfinden.
Ich suche, suche nach mir, häretisches Suchen
Von einem Zentimeter zum nächsten meiner Haut,
weiter Horizont verlieren sich die Finger, berühre blindlings und verliere mich.

(Synkope, 21)

Die Leiber der Menschen und Tiere entstehen «aus umgrenzter Stille». Das macht ihre Einsamkeit aus. Die Einsamkeit ist ein kostbares Gut, das wächst im bäuerlich-rituellen Tag für Tag, aber ist eben auch dunkler und stummer Schrecken des Alleinseins, das überwunden werden muss. In vielen Gedichten in der Anrufung der «Uma», der alten Großmutter, die an Demenz leidet und deren Welten von Anwesenheiten und Abwesenheiten die Dichterin folgt. Die Rituale der bäuerlichen Welt, die alltäglichen Fürsorge-, Liturgie- und Ritualassoziationen (Ritualassonanzen) bestimmen den Grundton der Dichtung von Roberta Dapunt. Die alltägliche Sprache sucht ihre Fleischwerdung, spricht nahe an der Wirklichkeit, erleidet Brüche und entdeckt eine Dynamik ins Offenere, die sie hebt und aufsteigen lässt. Roberta Dapunt ist keine gläubige Katholikin, aber sie bewegt sich am Rande des eucharistischen Geheimnisses:

Wer gerufen ward an diesen tisch ein mal, den riefen wir wieder im gebet, im gedenken an Maria. Wir saßen darum gewölbt beim essen zu vielt, die tafel ein geviert das kaum ausreichte und man zählte nicht die teller. Es waren in der mitte des tischs die richtigen mengen essen gestellt und keiner urteilte über das gericht. Nie wünschten wir maßlos. An der tafel bildeten wir ein vollkommenes geschöpf, das verwirklichen eines mahlwerks für eine begrenzte zeit zwischen einem kreuzzeichen und einem kreuzzeichen, wir waren ein tun tag für tag das man beginnt mit dem vorsatz es zu vollenden.

(die krankheit wunder)

Roberta Dapunt lauscht auf die Innenräume des Leibes. Wie still dürfen wir sie uns vorstellen? Es ist der Vorzug der dichterischen Phantasie, dass sie die Stillen an jedem Ort legen kann. Sie einen Sinn hat für die Stille in den Höhlungen und Falten des Körpers.

In der Stille, habe ich gedacht. In der Stille wird mein Gespräch mit draußen sein.
Sprechen werde ich, indem ich Stimme und Wörter an mein Inneres richte,
meine Ohren werden dem Gehör schenken, was mir von innen Antwort gibt.
Kein Ton wird zu hören sein, kein Phonem, ihr werdet keine Schwingung spüren,
denn die Stille, sie ist Sprache aller Sprachen,
umfassende Verständigung, ruhend auf dem Wunsch,
zu verstehen und verstanden zu werden.

(Synkope, 151)

Immer wieder die Anrufungen des Körpers, der Stille, der Einsamkeit, in den unaufgeregten Rhythmen des alltäglichen Landlebens, religiöser Riten und Rituale in ihrer Wiederholung seit jeher. Lakonisch, nüchtern, geduldig, oft ohne die Stimme zu heben, dann aber jäh stockend, abbrechend, den tragenden Fluss des Alltags unterbrechend. Aussetzend, eben wie eine Synkope, eine stockende Verschiebung, eine Aussetzung des Atems, eine Verzögerung als Einfall der Verzweiflung. Die Geborgenheit in den Rhythmen der Natur und den Wiederholungen der täglichen und religiösen Besorgungen ist ein Trug, ein trauriger Schein. Der Mensch ist nackt, verwundbar, sterblich der Welt ausgesetzt. Die Worte wie der Mensch sind ortlos. Und doch: das Wort ist und wurde Fleisch, nach und nach, langsam, Bilder gehen in das Leben ein, langsam und näher und näher, wie das Bild des Heiligen:

Du warst tot, dachte ich,
knochiges Gesicht und die Augen reglos vor Gott.
aus ihnen näherte sich behutsam in meinem Bewusstsein
das Paradies.

(Synkope, 89)

Roberta Dapunt ruft das innere Hören an, das allein wirklich hört, weil es mit der Stille, den inneren Höhlungen des Leibes verbündet ist, und das «von außen hören» bleibt «unempfindlich gegen die Wirklichkeit» (Synkope, 99). Dapunt ist auf der Suche nach einer eucharistischen Haltung, in der Stille und Dankbarkeit zueinanderfinden, aber ihre Suche bleibt unerfüllt.

«So sehr habe ich versucht, Ansicht und Anmaßung nicht laut werden zu lassen.
Im Leben war die Stille meine beste Freundin.
Jetzt aber möchte ich euch kundtun, erzählen, entgegenschreien
den Zustand eines isolierten Ichs.

(Synkope, 133)

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