Ein starker Monat

Der September ist nicht golden, doch er hat Tiefe. Ein starker Monat, der seinen Weg geht - ganz so wie CIG-Autor Christian Heidrich.

Ein starker Monat
© Christian Heidrich

Es ist jetzt gut ein Dutzend Jahre her, da ich den September erstmals als einen Monat mit Charakter wahrnahm. Wir wanderten in den Brenta-Dolomiten. Wo noch am 31. August Scharen von Klettersteig-Aspiranten herumwuselten, da war plötzlich selige Ruhe eingekehrt. Die langen italienischen Sommerferien waren zu Ende, wir hatten die Bergwelt für uns alleine. Dabei hatte sich nichts geändert, am Brenta-Nebel nichts und nichts an der Sonne, schon gar nicht an unserer Lust, mit Gurten und Stahlseilen "versichert", in die Abgründe zu blicken. Es ging einfach weiter, die menschlichen Setzungen schienen uns funktional, aber willkürlich.

Der September hält sich wacker, so meine Erfahrung seitdem, obwohl er es nicht einfach hat. Der Herbst rückt näher mit all seiner Macht, der September hält dagegen. Manchmal, an Flüssen und Seen braucht die Sonne lange, bis zum Angelus-Gebet, bis sie die Nebelwand durchbrechen kann. Manchmal steigt sie auch nicht mehr so hoch, schon nach der Vesper scheint es dunkel zu werden, und von den abgemähten Feldern weht ein bisschen Endzeit-Stimmung herbei. Doch auch hier ist nichts wirklich zu Ende, die Sonne brennt noch stark, die Fülle der Farbtöne berauscht.

Auf meiner Wanderung, in der Monotonie der Schritte, habe ich Zeit genug, die Kraft dieses Monats zu erleben. Vor zwei Wochen noch war ich in Berlin, dann lief ich wieder los. Seitdem scheint meistens die Sonne, an den Bäumen hängen Äpfel, Birnen oder Pflaumen, an Teichen entdecke ich immer ganz eigene Pflanzenwelten, keck geben sich manche Sonnenblumen, die solitär am Straßenrand stehen. Und die Pilzsaison hat in Polen einen Volksfestcharakter. Glückliche Gesichter, volle Körbe oder auch Plastiktüten in der rechten und linken Hand.

Der September ist nicht golden, doch er hat Tiefe. Ein starker Monat, der seinen Weg geht und sich um die Feinheiten der Ferienordnung und des Kalenders nicht schert.

Am Rande:
"Nein, Herr Putin!", so titelt heute die "Gazeta Wyborcza" - in großen Lettern, in deutscher Sprache und vor allem sehr zufrieden. Endlich haben, so berichtet sie ihren Lesern in Berufung auf "Quellen", auch die Deutschen verstanden, dass man dem russischen Mächtigen nicht trauen dürfe. Hochrangigen Emissären aus Russland hätten die Deutschen, "der wichtigste europäische Spieler", die kalte Schulter gezeigt, "besondere" Beziehungen soll es fortan nicht mehr geben.
Was an solchen Schlagzeilen Wunsch ist, was Wirklichkeit, das kann der Leser nicht beurteilen. Den großen Partner Deutschland, das ist sicher, möchte man aber stets in der Nähe wissen, um nicht zwischen zwei Großen, die sich verstehen, eingekeilt zu sein.

Frappierend das Synchrone des deutschen und polnischen kommerziellen Fernsehens. Fast parallel könnte man, so man wollte, per Fernbedienung die wort- und tränenreichen Shows anschauen, in denen es um Gesangstalente, künftige Models, um das Kochen oder um Restaurants in Not geht. Die gleichen Gesichter, das gleiche Blond, die gleiche Dramaturgie und Werbung. Ein wahrhaft schauriges Panoptikum.

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