Naher OstenRealismus als Affront

Das israelische „Nein“ zu einer Zwei-Staaten-Lösung ist kein Ausdruck von Extremismus, sondern eine realistische Anerkennung des Faktischen. Die internationale Politik sollte nicht vorschnell mit ihrer Verurteilung sein.

Wenzel Widenka
© Florian Nütten

Die irakischen Bischöfe waren – für kirchliche Verhältnisse – sehr schnell und entschieden: Die beste Garantie für Frieden im Nahen Osten sei und bleibe die Zwei-Staaten-Lösung: Ein jüdisch-israelischer Staat auf der einen Seite, ein palästinensischer Staat auf der anderen, so die Bischöfe am Sonntag. Am Donnerstag hatte die Knesset, das israelische Parlament, dieser Option zum ersten Mal eine deutliche Absage erteilt: Kein palästinensischer Staat westlich des Jordans, weder nach einer einseitigen arabischen Erklärung noch nach Verhandlungen mit Israel. Ein simples „Nein“ zu einer der größten Konstanten der westlichen Diplomatie seit vielen Jahrzehnten. Und das nicht nur von den rechten Parteien, sondern auch mit Stimmen aus der Mitte. Und bei näherem Hinsehen eine ebenso nachvollziehbare, wie realistische Entscheidung.

Denn die Zwei-Staaten-Lösung, die die Vereinten Nationen, die deutsche Bundesregierung und auch die Katholische Kirche seit jeher beinahe monstranzartig vor sich hertragen, sie ist schon lange kaum mehr als ein wohlfeiles Lippenbekenntnis, ja beinahe eine Farce. Denn für die Behauptung, eine solche Lösung würde ganz sicher zum Frieden führen, gibt es bis heute keinen einzigen Beweis. Man muss noch nicht einmal bis 1947 zurückgehen, als die arabische Seite einen UN-Teilungsplan vehement abgelehnt hat. Man kann auch feststellen, dass beispielsweise auf die Oslo-Verträge 1993 kein Frieden folgte, sondern einer der blutigsten Sommer der israelischen Geschichte. Der israelische Ministerpräsident Yizhak Rabin musste seiner verstörten Bevölkerung erklären, warum der Deal dennoch ein zukunftsträchtiger war. Dann starben der Vertrag von Oslo und sein Unterzeichner Rabin in den Kugeln des Attentäters Yigal Amir. War das der Frieden? 2004 zog Ministerpräsident Ariel Sharon alle jüdischen Siedler aus dem Gazastreifen ab und überlies diesem den Palästinensern. Gekommen ist die Hamas. Gekommen ist der 07. Oktober. War das der Frieden?

Selbst wenn man die Fanatiker auf beiden Seiten abzieht, muss man nüchtern feststellen, dass es trotzdem kein „Friedenslager“ auf beiden Seiten mehr gibt, dass eine Zwei-Staaten-Lösung verhandeln könnte. Selbst international bekannte Akteure wie „Peace Now!“ sind heute in Israel in der deutlichen Minderheit. Der Großteil der Bevölkerung denkt anders. Was westlichen Beobachtern kaum in den Sinn will: In Israel wird Sicherheit als Grundvoraussetzung für Frieden gesehen. Erst wenn die existenzielle Absicherung des Staates garantiert ist, kann es so etwas wie Frieden geben – eine realistische Einschätzung. Die palästinensische Logik funktioniert genau andersherum: Erst der Staat, alles andere kommt danach. Einige kündigen sogar diesen Minimalkonsens auf: Die Hamas und ihre Unterstützer propagieren ihre ganz eigene Vorstellung einer „Ein-Staaten-Lösung“.

Das jetzige Votum der Knesset ist weniger ein Affront gegen die internationale Gemeinschaft und die Rechte der Palästinenser als vielmehr eine nüchterne Feststellung von Tatsachen. Die theoretische Idee einer Zwei-Staaten-Lösung, nie ausprobiert und unrealistisch idealisiert, ist in ihrer bekannten Form tot und das nicht erst seit dem 7. Oktober. Sie hat auf beiden Seiten keine realistischen, verlässlichen Partner. Diese Vorstellung ist nicht konstruktiv und sie zeigt auch keinen sinnvollen Weg in die Zukunft. Aber sie ist wenigstens ehrlich. Politiker wie Kirchenvertreter sollten das als Anlass nehmen, ihr hohes ideal einer sachlichen Revision zu unterziehen.

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