Menschlicher Allmachtswahn spielt in der amerikanischen Literatur eine besondere Rolle. Eine Spurensuche.

Der Wunsch, allmächtig zu sein und die Welt zu beherrschen, ist eine alte Fantasie. Im griechischen Mythos der Titanen wird schon früh davon erzählt, und die Geschichte der Kriege ist sehr oft auch eine Geschichte des Größenwahns. Im Grunde ist die Vorstellung, Gott zu sein und somit Herr aller Widrigkeiten, infantil. Man kann das bei kleinen Kindern beobachten, die das Gefühl, ihre Macht stoße an Grenzen, unerträglich finden. Auch bei den Potentaten und Autokraten dieser Welt findet man diesen Zorn.

Natürlich ist das ein Stoff für die Literatur. In der amerikanischen, so kommt es mir vor, ist er auf besondere Weise beheimatet. Die russisch-amerikanische Schriftstellerin Ayn Rand, mit bürgerlichem Namen Alice O'Connor (1905–1982), war die fanatische Ideologin des Selfmade Man und erzielte mit ihren Romanen "The Fountainhead" (1943) und "Atlas Shrugged" (1957) Millionenerfolge.

Während sie einen mitleidlosen Kapitalismus propagierte, verkörperte Walt Whitman (1819–1892) eine andere Spielart des amerikanischen Helden. Er war nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein großer Patriot und erblickte in der Bevölkerung den "Genius der Vereinigten Staaten". Er machte die Redewendung von God's Own Country in dithyrambischen Gesängen anschaulich, beflügelt von seinem menschenfreundlichen Enthusiasmus.

Titan der Rachsucht

Dunkler aber ist Kapitän Ahab. Er ist der tragische, der letztlich unbegreifliche Hero amerikanischer Selbstermächtigung, ein gnadenloser Titan der Rachsucht. In Herman Melvilles Roman "Moby-Dick" (1851) spielt er die Hauptrolle.

In Kapitel 36 lässt er die Mannschaft des Walfängers "Pequod" antreten, um sie auf den Kampf gegen Moby Dick einzuschwören. Starbuck, der erste Steuermann, fragt: "Auch ich habe von Moby Dick gehört – es war aber doch nicht Moby Dick, der dir das Bein abgerissen hat?" Und Ahab schreit: "Aye, Starbuch, aye, all ihr wackeren Burschen – es war Moby Dick, der mich entmastet hat, es war Moby Dick, der mir diesen toten Stumpf beschert hat, auf dem ich jetzt stehe. Es war dieser verfluchte weiße Wal, der aus mir bis ans Ende meiner Tage einen erbärmlichen, humpelnden Krüppel gemacht hat."

Und Ahab lässt so lange Grog auffahren, bis sich alle Matrosen für die Jagd auf den Wal begeistern. Nur Starbuck zweifelt: "Ich bin hierher gekommen, um Wale zu jagen, nicht um meinen Kapitän zu rächen." Und als Ahab insistiert, ruft er: "Rache an einem stummen Tier, das einfach dich aus blindem Trieb getroffen! Ein Wahnsinn! Zu wüten gegen ein stummes Ding, Kapitän, erscheint mir grad wie Gotteslästerung."

"Sprich du mir nicht von Gotteslästerung, Mann; ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt." Ist dieser Satz ist nicht wahrhaft entsetzlich?Wenn ich ihn lese, sehe ich manche dieser von sich selbst besoffenen Supermänner, die derzeit das große Wort führen, leibhaftig vor mir.

Ahab antwortet: "Ich sehe in ihm frevelhafte Kraft, von sehniger und unfassbarer Arglist angetrieben. Dies unfassbare Ding ist es vor allem, was ich hasse; und ob der weiße Wal nun Werkzeug oder ob der weiße Wal der Urheber von allem ist, ich werd mit diesem Hass ihn überziehen. Sprich du mir nicht von Gotteslästerung, Mann; ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt."

Ist dieser Satz ist nicht wahrhaft entsetzlich? "Talk not to me of blasphemy, man; I’d strike the sun if it insulted me." Wenn ich ihn lese, sehe ich manche dieser von sich selbst besoffenen Supermänner, die derzeit das große Wort führen, leibhaftig vor mir.

Doch "Moby-Dick" wäre nicht dieser unübertreffliche Roman, wäre Ahab bloß ein Bösewicht. Nein, er ist ein Beispiel für die Unergründlichkeit des Menschen. Der Matrose Ismael, der die Geschichte erzählt, macht sich seine Gedanken über das rätselhafte Wesen Mensch: "Der Bergmann, der unterirdisch in uns allen am Werke ist – wie können wir am stetig weiterwandernden, gedämpften Klang seiner Picke erkennen, wohin sein Schacht führt?" So heißt es in Kapitel 41.

Herman Melville, presbyterianisch erzogen, hat über Gott und die Menschen so gründlich nachgedacht, dass er nie zu einer schlichten Schlussfolgerung gelangte. Die Zweifel ließen ihn nicht los. Das Fazit seiner Überlegungen jedenfalls war in keiner Weise orthodox.

Im April 1851 schreibt er einen Brief an Nathaniel Hawthorne, mit dem er eine Zeit lang befreundet war, und skizziert darin die Idee des wahrhaft souveränen Menschen, "der sich inmitten all der Mächte des Himmels, der Hölle und der Erden für ein (in sich selbst) unabhängiges Wesen erklärt. Er mag zugrunde gehen; aber solange er existiert, besteht er darauf, mit allen Mächten gleichberechtigt zu verhandeln. Und wenn eine dieser Mächte es für gut befindet, gewisse Geheimnisse für sich zu behalten, bitte sehr; das tut meiner persönlichen Souveränität keinen Eintrag. Und vielleicht gibt es ja gar kein Geheimnis. Wir neigen dazu anzunehmen, dass Gott selbst Seine eigenen Geheimnisse nicht erklären kann und dass Er selbst gern ein wenig Aufklärung über gewisse Punkte erhalten würde. Wir Sterblichen erstaunen Ihn ebenso sehr wie er uns." Dieses Erstaunen ist wohl der Urgrund seines Schreibens.

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