Filmbesprechung „Life of Chuck“Vom Ende her leben

Regisseur Mike Flanagan bringt ein eindrucksvolles filmisches Triptychon nach einer Kurzgeschichte von Stephen King ins Kino.

Am Anfang steht das Ende. Das Ende von allem. Amerika versinkt im Ozean, in Europa brechen Vulkane aus und in Asien grassiert – so erzählt man es sich – seit Neuestem die Beulenpest. Die Bienen sind schon lange ausgestorben, und während der Menschheit noch klar wird, wie wichtig diese fürs ökologische Gleichgewicht waren, kündigt sich eine verheerende Hungersnot an. Dann fällt auch noch das Internet aus, was vielen seltsamerweise mehr zu schaffen macht als all die globalen Katastrophen zusammen. Irgendwann gibt es auch keinen Strom mehr. Die Menschen bleiben im Dunkeln zurück und schauen hinauf in einen sterbenden Sternenhimmel – in dem die Lichter, eins nach dem anderen, verlöschen.

Regisseur Mike Flanagan beginnt seinen Film mit endzeitlicher Wucht, aber ohne in die Klischees üblicher Katastrophenfilme zu verfallen. Wir sehen nicht, wie sich die Natur gegen den Menschen erhebt, wir hören es nur, in den Gesprächen von jenen, die ihr Bestes tun, mitten im Chaos an einer Form von Alltag festzuhalten. Und denen jetzt, wo es zu Ende geht, mit einem Mal klar wird, was wirklich wichtig ist im Leben. Dann macht das Drehbuch einen Schritt zurück – Teil zwei beginnt. Die Geschichte entfaltet sich rückwärts und als Zuschauer bleibt man mit der nagenden Frage zurück: Was bedeuten die kleinen Alltagsmomente, wenn man weiß, dass alles unaufhaltsam auf ein grausames Ende zu trudelt? Das gilt für die Menschheit im Ganzen und ganz besonders für den Titelhelden Chuck (gespielt von Tom Hiddleston), den wir nach dem Zeitsprung kennenlernen. Auf Chuck wartet nichts Gutes, wie uns ein allwissender Erzähler wissen lässt. „Eine Krankheit wird ihm alle Kraft rauben, er wird seine Frau nicht mehr erkennen und in einem Abgrund aus so gewaltigen Schmerzen versinken, dass er sich fragen wird, wieso Gott die Welt erschaffen hat.“ Vor seinem 40. Geburtstag wird er tot sein. Und doch – so die Botschaft des Films – gibt es auch in einem von außen so tragischen Leben magische Momente. Und was hat es mit all den Plakaten, Flyern und Graffitis auf sich, die sich bei Chuck für „die großartigen Jahre“ bedanken?

Immer wieder taucht in The Life of Chuck („Das Leben des Chuck“) das Konzept des „Kosmischen Kalenders“ auf. Wenn man die Zeitspanne des Kosmos auf ein Jahr herunterrechnet, mit dem Urknall um Mitternacht am 1. Januar, dann passt die ganze Geschichte der Menschheit in die letzten paar Sekunden des 31. Dezember. Wir sind eine winzige Fußnote in einem riesigen Universum, nicht mehr als ein Wimpernschlag. Und vielleicht sind wir am Ende nicht mal für unseren Untergang selbst verantwortlich. „Wir haben Mutter Erde misshandelt“, sagt ein Wetterfachmann, als Amerika schon zu großen Teilen unbewohnbar ist. „Aber letztendlich sind wir bedeutungslos.“ Doch zwischen all den düsteren Vorahnungen gibt es auch immer wieder andere Szenen: Momente unerwarteter Leidenschaft mitten in einem grauen Alltag. Da ist ein alter Mann, der über eine Rechenmaschine gebeugt von der Schönheit der Mathematik schwärmt, die „zaubern kann und niemals lügt“. Da ist ein Buchhalter, der mitten auf einer belebten Straße zu tanzen beginnt und für einen Moment alle Sorgen vergisst. Da ist eine Lehrerin, die ihrer Klasse Gedichte vorliest. „In deinem Kopf ist ein ganzes Universum“, sagt sie einem Schüler. Das unendlich Große im unendlich Kleinen – eine Schlüsselszene des Films.

Wirklich gruselig wird es in The Life of Chuck nie, Horror-Meister Stephen King hat sich auch schon in der Buchvorlage zurückgehalten, obwohl es mindestens ein Storyelement gibt, das direkt aus einem Gruselfilm stammen könnte. Stattdessen setzt der Film auf stille Nostalgie, leisen Humor und Menschlichkeit, und findet so, bei aller Schwere, zu einer zutiefst lebensbejahenden Botschaft: Auch wenn das Ende scheinbar feststeht, hat man eine Wahl. Man kann sich verkriechen und abwarten. Oder man kann sein Leben leben, trotz allem hoffen – und tanzen.

Anzeige: SCHOTT Messbuch - Für die Wochentage - Band 3: Jahreskreis 18.-34. Woche
CIG Ausgaben

Christ in der Gegenwart im Abo

Unsere Wochenzeitschrift bietet Ihnen Nachrichten und Berichte über aktuelle Ereignisse aus christlicher Perspektive, Analysen geistiger, politischer und religiöser Entwicklungen sowie Anregungen für ein modernes christliches Leben.

Zum Kennenlernen: 4 Wochen gratis

Jetzt gratis testen