Wer das Restaurant Jaffa im Neubauareal des ehemaligen Freiburger Güterbahnhofs betritt, taucht in eine andere Welt ein: Der Duft von frisch gebackenem Pita-Brot und Kreuzkümmel liegt in der Luft, Pflanzen und Fotografien von Tel Aviv zieren die Wände, im Hintergrund spielt leise israelische Musik. Hier fühlt man sich nicht nur willkommen – hier ist man eingeladen, ein Stück Israel zu erleben. Dass ausgerechnet ein syrisch-kurdischer Muslim dieses Restaurant gegründet hat, ist auf den ersten Blick überraschend. Auf den zweiten Blick aber offenbart sich eine Geschichte von Umdenken, Mut und Versöhnung.
Bilal Aloge, der Inhaber des Jaffa, kam 1983 als Elfjähriger mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland. Die Familie war vor politischer Verfolgung geflohen. Seine Kindheit in Syrien sei von Angst geprägt gewesen, berichtet Aloge – nicht zuletzt vor einem Land, das er nie gesehen hatte: Israel. „In der Schule erzählte mein Lehrer, israelische Soldaten würden Bonbons vergiften und an Kinder verteilen.“ Hass auf Juden und den Staat Israel sei in arabischen Gesellschaften teils bis heute tief verwurzelt.
Sein Vater erklärte ihm, dass die Schauergeschichten nicht wahr sind. Als kurdischer Oppositioneller habe er erlebt, was Diskriminierung bedeute, und deshalb um Solidarität mit Israel geworben. Doch die Abneigung gegen das ferne Nachbarland saß tief, gesteht Aloge rückblickend. Erst in Deutschland, aus der Warte einer offenen Gesellschaft, begann sich sein Blick auf Israel zu verändern. Nach und nach wich die Angst einem wachsenden Interesse – und schließlich echter Sympathie.
Eine kleine kulinarische Geste sollte Jahre später zur Gründung des Jaffa führen. Gemeinsam mit seiner Frau Silham betrieb Aloge bereits zwei erfolgreiche syrische Restaurants in Freiburg. Darunter das Damasko’s am belebten Europaplatz mitten im Stadtzentrum. Angefangen hat alles mit einem „koscheren Brot“ auf der Speisekarte. „Ich wollte einfach etwas aus Israel anbieten“, sagt Aloge. Doch allein die Nennung des Wortes „koscher“ reichte aus, um Boykottaufrufe, Beleidigungen und Drohungen aus Teilen seiner arabischen Stammkundschaft zu provozieren. Die Situation eskalierte, als Bilal ein israelisches Sommergericht auf der Karte präsentierte. Die Reaktionen waren heftig: Persönliche Bedrohungen gegen seinen Sohn, Hassnachrichten, teils agressive Demonstrationszüge vor dem Lokal und massive wirtschaftliche Einbußen trafen die Familie schwer.
Doch in dieser schwierigen Zeit zeigte sich auch breiter Zuspruch. Neben medialer Aufmerksamkeit und der Solidarität vieler Kunden, die das Restaurant mit Großbestellungen über Wasser hielten, stellte sich auch die jüdische Gemeinde in Freiburg öffentlich hinter die Familie Aloge. „Sie haben sich als menschliches Schutzschild vor unserem Lokal positioniert, als die Demonstrationen kamen – sogar ältere Gemeindemitglieder“, erzählt Bilal sichtlich bewegt. Aus dieser Erfahrung erwuchs eine Entscheidung, die sich am besten mit der Motivation „Jetzt erst recht“ zusammenfassen lässt. Die Räumlichkeiten im Güterbahnhofareal waren bereits im syrischen Dekor eingerichtet, als Aloge beschloss: Das nächste Restaurant wird keine weitere Damasko’s-Niederlassung. Es soll ganz der israelischen Küche gewidmet sein und Jaffa heißen – nach der alten Hafenstadt, die heute zu Tel Aviv, der Partnerstadt Freiburgs, gehört.
Bilal Aloge und seine Frau Silham Al Hamed (Fotos: Christoph Nadler / Jaffa)
Mit Aloges gastronomischer Erfahrung, der Unterstützung der jüdischen Gemeinde und der Hilfe eines erfahrenen israelischen Kochs wurde das neue Restaurant Anfang des Jahres eröffnet. Seitdem schwärmen die Freiburger für Klassiker wie Hummus, Falafel und Baba Ganoush, eine Creme aus geräucherten Auberginen. Auf der Karte finden sich auch ausgefallenere Spezialitäten wie Fisch-Shawarma oder um Zimtstangen gewickelte Lammspieße. Gäste aus Tel Aviv besuchen Freiburg im Rahmen von Schwarzwald-Touren und machen Station bei Bilal. Die Atmosphäre sei „wie in Israel“, berichten viele. Es wird Shabbat gefeiert, Pessachgruppen kommen, sogar koscheres Fleisch organisiert Aloge auf Wunsch – ansonsten ist die Küche nicht als vollständig koscher zertifiziert.
Das Jaffa soll mehr sein als ein Restaurant. Aloge will es zu einem Ort des Dialogs und der Begegnung ausbauen. Dazu plant er etwa eine Kooperation mit den umliegenden Kindergärten. Zwei Mal im Monat können sich Gruppen zu einem Projekttag gegen Antisemitismus anmelden. Es soll Hummus und Shakshuka, kleine Workshops und kindgerechte Erzählungen über Israel geben. „Wir wollen früh ansetzen, damit Kinder lernen, dass es keinen Grund für Hass gibt“, sagt Aloge.
Das Jaffa stößt auf große Resonanz. Mehr als 5000 Menschen folgen dem Restaurant bereits nach weniger als einem halben Jahr auf Instagram. Zahlreiche Medien haben über die Eröffnung berichtet, selbst das israelische Fernsehen war schon zu Besuch. „Wer Israel segnet, ist gesegnet“ – dieser Ausspruch ist für Aloge nicht nur eine biblische Hoffnung (vgl. Num 24,9), sondern gelebte Erfahrung. Die jüdische Gemeinde, christliche Unterstützer und viele Freiburger Gäste haben das Restaurant zu einem lebendigen Ort der Verständigung gemacht. Trotz fortbestehender Anfeindungen aus Teilen der arabischen Community bleibt Aloge seiner Überzeugung treu: „Ich werde das israelische Essen nicht von der Karte nehmen. Es gehört zu mir. Ich stehe zu Israel.“
Sein Engagement hat auch eine politische Dimension. Aloge fordert mehr Bildungsangebote gegen Antisemitismus in der Integrationsarbeit. Der Israelhass werde in vielen arabischen Ländern bereits in der Schule gesät, so wie er es selbst erlebt habe. Das müsse in den Integrationskursen thematisiert werden. „Viele arabischstämmige Menschen demonstrieren gegen Israel, ohne zu wissen, warum. Sie kennen nur ein verzerrtes Bild.“ Auch Israel sei nicht unschuldig an der furchtbaren Lage und der Generationen alten Feindschaft im Nahen Osten. Doch ohne Differenzierung und Respekt in beide Richtungen sei keine Verständigung möglich, davon ist Aloge überzeugt.
Seine Antwort auf Hass ist daher nicht Gegenhass, sondern Gastfreundschaft. „Essen verbindet“, sagt er. Beim gemeinsamen Mahl würden Vorurteile abgebaut, Geschichten ausgetauscht und Brücken gebaut. So ist das Jaffa nicht nur eine kulinarische Bereicherung für Freiburg, sondern hat auch eine uralte menschliche Botschaft: Es lädt ein, an einem Tisch Platz zu nehmen – unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Ausrichtung.