Zwei Jünger Jesu waren auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus – so beginnt die Erzählung aus dem Lukasevangelium, die wir eben gehört haben. Ich lade Sie ein, sich in die Situation der beiden hineinzuversetzen.
Was mag die beiden Jünger zu dem Weg veranlasst haben? Ist Emmaus vielleicht ihr Heimatdorf, in das sie zurückkehren nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage? Nichts wie weg von Jerusalem – so mögen sie vielleicht gedacht haben. Keine Aufbruchstimmung ist bei ihnen spürbar, sondern Bitterkeit, Enttäuschung und Resignation. Was hatten sie sich nicht alles erhofft von Jesus, ihrem Meister, den sie bewundert, verehrt und geliebt hatten! Den ersehnten Messias hatten sie in ihm gesehen, der die verhassten Römer aus dem Land jagen würde – und jetzt? Alles scheint ihnen sinnlos geworden zu sein. Die Schrecken der letzten Tage drücken sie nieder. Wie Blinde schreiten sie dahin, ohne auf ihre Umgebung zu achten, gefangen in ihrem Schmerz.
Darum merken sie auch gar nicht, dass sich inzwischen jemand zu ihnen gesellt hat und sie begleitet. Aber wenigstens reden sie miteinander. Und sie reden über Jesus, über den, der schon längst mit ihnen geht. Auch wenn sie ihn nicht erkennen. Und Jesus mischt sich in ihr Gespräch ein. Er zeigt ihnen die scheinbare Katastrophe in einem anderen Licht. »Musste nicht der Messias all dies erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?« Durch diesen Perspektivwechsel eröffnet er ihnen einen neuen Zugang zum Verständnis. Wer nur das Kreuz, wer nur den Untergang sieht, der begreift nicht den Sinn. Man muss die ganze Geschichte überblicken. Beides gehört zusammen: Leiden und Auferstehen, Tod und Leben.
Davon künden auch schon die Heiligen Schriften des Judentums. Die alten Prophetenworte verkünden kein Paradies auf Erden, auch keine politischen Siege. Sie reden vielmehr sehr oft vom Scheitern des Menschen, aber auch von Erlösung. Davon, dass der Messias gerade durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod überwunden hat – nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die glauben und auf ihn vertrauen.
Die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus sind auch auf dem Weg zum Glauben. Allmählich erkennen sie: Der, von dem sie als von einem Toten geredet haben, der lebt. Ihr Herz wird unruhig, es beginnt zu brennen. Sie suchen aufs Neue seine Freundschaft: »Herr, bleibe bei uns …« Sie laden ihn zum Essen ein. Und dabei erleben sie es überwältigend, wie er sich ihnen mitteilt: Er bricht das Brot und gibt es ihnen. In diesem Augenblick erkennen sie ihn ganz. Er hat sich ihnen selbst gegeben. Jetzt hält sie nichts mehr. Es treibt sie zurück nach Jerusalem, zu den Freunden, um ihnen die Frohe Botschaft zu verkünden: Der Herr ist wahrhaft auferstanden!
Liebe Schwestern und Brüder, die Emmausgeschichte ist mehr als eine Erzählung aus alten Zeiten. Emmaus geschieht auch heute noch, immer wieder. Emmaus ist dort, wo Menschen bereit sind, sich auf den Weg zu machen und dem Leben zu vertrauen. Emmaus ist auch dort, wo Menschen einander menschlich begegnen und dadurch Gott selber erfahren. Und Jesus geht unsere Wege mit – auch wenn wir ihn nicht immer erkennen.
Ingrid Baumann