Der Heiland im Altenheim - Eine Krippenspiel-Geschichte - Für Senioren/Familien

Der Anruf kam zwei Tage vor dem Fest. Die Jugendgruppe, die sich der Sache hatte annehmen wollen, sei abgesprungen. Ob es möglich wäre, am 23.12. nachmittags ein Krippenspiel im Altenheim zu improvisieren? Wir hätten doch Erfahrung mit so etwas. Neben dem Telefonhörer lag die Liste mit noch zu Erledigendem. Sie war ziemlich lang. Gerade hatte ich mich gefragt, wie wir die Aufgaben verteilen könnten, um wenigstens das meiste abzuarbeiten. Trotzdem sagte ich zu, ich konnte mir selbst nicht erklären, wie es dazu kam. Manchmal gibt es diese andere Art von Vernunft…

Das Heim war liebevoll dekoriert und schön vorbereitet. Trotzdem legte sich uns der Geruch von Alter und Einsamkeit schwer aufs Herz. Die Bewohner saßen dösend in ihren Sesseln und Stühlen, viele hörten so schlecht, dass sie gar nicht mitsingen konnten, als einer der Mitarbeiter auf dem Klavier das erste Lied anstimmte.

Sie reagierten auch kaum, als Maria und Josef auf der Herbergssuche durch die Tischreihen zogen, vorbei an Rollatoren und Gehhilfen. Vorn angekommen entband die Maria den kleinen Iman, unser jüngstes Pflegekind, das mit seinen vier Monaten noch gut als »Christkind« durchging. Er hatte sich tatsächlich nackt unter einem riesigen Regencape in den Armen der großen Schwester still verhalten und war unbemerkt bis auf die Bühne gelangt. Josef rückte den Korb für ihn zurecht, Maria wickelte ihn zu den Klängen von »Stille Nacht« in Windeln, erleichtert darüber, dass bislang alles trocken geblieben war.

Da meldete der Kleine sich zu Wort und krakeelte mit lauter Babystimme in die feierliche Weihnachtsmelodie. Und siehe: Dies war Verkündigung genug! Der große Engel, der die Kleinen in Schach und sich selbst schon für die Hirten bereithielt, brauchte die Botschaft gar nicht mehr auszurichten. Die Alten schreckten aus ihrem Dämmerzustand auf, als das kleine Kind schrie. Sie erhoben sich so schnell sie konnten aus ihren weichen Kissen und reckten die Hälse, kamen nach vorn und riefen es sich gegenseitig zu: »Das ist ein echtes Jesuskind!«

Die Rollstühle wurden beiseite geschoben, man stützte sich an den Tischkanten und Stuhllehnen ab, um ganz nah zu dem Geschehen da vorne zu kommen. »Der Kleine wird sich erkälten, er braucht eine Decke!«, wurde Maria ermahnt. »Und ein Mützchen, die Ohren müssen warmgehalten werden!« Schließlich lag der kleine Jesus ordentlich gewickelt auf seinem Schaffell und strahlte die vielen Besucher freundlich an. Im ganzen Saal gab es keine Zuschauer mehr. Alle waren zu Mitwirkenden geworden und einige Heilungswunder schienen sich ereignet zu haben.

Heißt es nicht: »Blinde schaun zum Licht empor, Stumme werden Hymnen singen, Tauben öffnet sich das Ohr, wie ein Hirsch die Lahmen springen. Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil«? An diesem Nachmittag, für diesen außergewöhnlichen Moment hatte sich die Verheißung erfüllt. Auch wir fühlten uns beschenkt, als wir uns später verabschiedeten. Die Liste mit den ausstehenden Erledigungen habe ich am gleichen Abend einfach zerknüllt. Sie war nicht mehr wichtig. Das Entscheidende war bereits Wirklichkeit geworden. Weihnachten hatte schon begonnen.

Regina Groot Bramel

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