WeihnachtenDas Fest der sechs Mäntel

Der Weg zu Weihnachten ist lang und bisweilen auch lärmig. Er erinnert an die russischen Matrioschkas: Man arbeitet sich unter Drehen und Schrauben zum Kern der Sache vor.

Porträt Ulrich Fricker
Uli Fricker, Freier Journalist© Privat

Kennen Sie die Matrioschka? Besitzen Sie vielleicht eine? Dem Zauber dieses Spielzeugs können sich auch Erwachsene kaum entziehen. Dabei sind sieben Holzpuppen verschiedener Größe kunstvoll ineinander geschachtelt. Durch Drehen öffnet man die erste und größte, schraubt das Oberteil ab und stößt auf die zweite, öffnet erneut und so fort. Erst nach dem Entfernen der sechsten Puppe stößt man auf die kleinste Puppe, sie bildet den Kern des Ensembles. Irgendwie erinnert mich die Matrioschka auf dem Fensterbrett an die Zeit des Advents: Um bis Weihnachten zu kommen, bedarf es viel an schraubender Geduld und an Toleranz. Viele Termine wollen absolviert sein, so reden wir uns ein, bis an Heiligabend endlich Ruhe in der Hütte einkehrt.

Möglicherweise ist die Klage über den Trubel vor Weihnachten sogar Teil dieses Festes. Diese Klage wird ihrerseits kunstvoll vorgetragen. Die Enttäuschung wäre endlos, wenn tatsächlich nicht gefestet, sondern gefastet würde, wie es die Liturgie nahelegt. Die Märkte, die das Wort „Weihnachten“ geschickt vor ihren Karren spannen, schreien nach Besuch.  Und jede Firma, die auf sich hält, lädt zum Weihnachtsessen. Die Chefin  sonst keine große Rednerin vor dem Herrn  spricht mehrfach von Besinnlichkeit (meint aber mehr das Sinnliche, denn es wird geschmaust wie weiland an der Tafel des Herodes). Schüler spielen tapfer Weihnachtslieder. Das Wort „Stress“ fällt – eigentlich ein Unwort, das den Zustand erst herbeiführt, der da beklagt wird. Endlich, am 24. Dezember, kehrt Ruhe ein. Die Lamettagruppe übt sich im Heimmodus. Matrioschkas Arbeit ist getan. Die sechs großen Überpuppen sind gefallen, aus dem Bauch der großen Mutter wird ein Püppchen befreit. Ein freundlich lächelndes Kind mit breitem Gesicht und schmalen Augen. Da hat sich alle Mühe gelohnt.

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