In seinem Hirtenbrief zum Sonntag des Wortes Gottes mit dem
Titel „Einladung zur Kommunion mit dem Wort Gottes“ vom 29.
Januar 2022 geht der Augsburger Bischof Bertram Meier auf die
besondere Stellung des Wortes Gottes in der Liturgie ein. Der relevante
Abschnitt wird im Folgenden wiedergegeben:
„Wie können wir in unserem Bistum dem Wort Gottes wieder
seinen gebührenden Platz einräumen? An dieser Frage habe ich seit
geraumer Zeit entlanggedacht, mich ausgiebig beraten und darüber
gebetet. Das betrifft zuallererst die Feier des Wortes Gottes. Ich lade
Sie daher ein, z. B. durch sichtbare Platzierung des Lektionars im
Altarraum (Inthronisation) und eine stärkere biblische Ausrichtung
der Verkündigung, das Wort Gottes liturgisch hervorzuheben. Dies
gilt besonders für den Wortgottesdienst in der Messfeier. Der Wortgottesteil
ist kein bloßes ‚Vorspiel‘ zur Wandlung. Wenn am Ambo
Gottes Wort verkündet wird, dann geht es weder um bloße Textverarbeitung
noch um eine Nachrichtensendung. Der Wortgottesdienst
ist keine Infoveranstaltung über ein historisches Buch; auch dient er
zunächst nicht der moralischen Belehrung. Wir wissen vielmehr im
Glauben, dass Christus durch sein Wort in der Liturgie gegenwärtig
ist (vgl. SC 7). Das in der Liturgie verkündete „Wort des lebendigen
Gottes“ soll in uns und durch uns wirksam werden. So ereignet sich
in jeder Wortverkündigung neu, was damals in der Synagoge in Nazaret
geschah: Jesus Christus tritt in unsere Mitte, er selbst spricht
uns an, sein Wort wird Wirklichkeit. Das Evangelium ist nichts für die
Mottenkiste der Geschichte, sondern gehört übersetzt ins ‚Heute‘. Im
immer neuen ‚Heute‘ erfüllt sich das Schriftwort an uns.
Neben dem Wortgottesdienst bei der hl. Messe kennt die Kirche
weitere Formen, um Gottes Wort in der Person Jesu Christi zu feiern:
die Tagzeitenliturgie, die Andacht und auch die Wort-Gottes-Feier. Gerade
die Wort-Gottes-Feiern sind nach Papst Benedikt XVI. ‚bevorzugte
Gelegenheiten der Begegnung mit dem Herrn‘ (Verbum Domini 65).
Daher soll die Wort-Gottes-Feier im gottesdienstlichen Leben unserer
Gemeinden neben der Tagzeitenliturgie und den Andachten ihren
festen Ort bekommen und regelmäßig den Alltag unterbrechen. (…)
Eine Sonderstellung kommt der Wort-Gottes-Feier zu, wenn sie
am Sonntag an die Stelle der Eucharistie tritt. Für mich steht fest: Die
Eucharistie ist Wort-Gottes-Feier in Höchstform, ‚Quelle und Höhepunkt
des ganzen christlichen Lebens‘ (LG 11), Herzraum der Kirche
und damit jeder Pfarrei und Pfarreiengemeinschaft. Es ist Ziel und
Aufgabe des Bischofs, mit allen, die ihm im Leitungsdienst helfen,
dafür zu sorgen, dass sich am Herrentag jede Seelsorgeeinheit zur gemeinsamen
Feier der Eucharistie versammelt. Dieses Angebot muss
stehen. Miteinander die Gottesdienstzeiten zu planen, kann weiterhelfen,
wenn Gemeinden einer Pfarreiengemeinschaft füreinander
Verantwortung tragen und aufeinander Rücksicht nehmen. Denn
seit den Anfängen der Kirche treffen sich die Christen am Sonntag
zum Herrenmahl, um Tod und Auferstehung Christi zu feiern. Dieser
Anspruch verpflichtet.
Daher kann eine Wort-Gottes-Feier die hl. Messe nicht ersetzen.
Wir dürfen aus der Not keine Tugend machen, als sei die Wort-Gottes-
Feier die Lösung der Zukunft. Der Weg der Kirche liegt sicher nicht
darin, dass Eucharistie und Priestertum immer mehr aus dem Blick
geraten. Zur hl. Messe gibt es keine Alternative. Beten wir daher intensiv
um glaubwürdige und überzeugende Priester!
Doch was tun, wenn in einer Gemeinde beim besten Willen
keine sonntägliche Eucharistiefeier stattfinden kann? Hier erinnere
ich an unsere Bistumssynode, die schon vor gut 30 Jahren
beschloss, dass Pfarrgemeinde und Dorf pastoral und liturgisch
nicht ‚ausbluten‘ dürfen. Weiter heißt es dort: ‚Wenn am Sonntag
infolge des Priestermangels keine Eucharistiefeier möglich ist, versammelt
sich die Pfarrgemeinde am Sonntagvormittag zum Wortgottesdienst,
um den ‚Tag des Herrn‘ zu heiligen‘ (Diözesansynode
Augsburg 1990. Die Seelsorge in der Pfarrgemeinde, Donauwörth
1991, S. 121). Die Wort-Gottes-Feier ist also keine Privatsache, sondern
wirklich Gottesdienst der Kirche.
Mit der Rückbesinnung auf das Wort Gottes wird die Kirche als
Sakrament nicht relativiert. Wort und Sakrament sind kein Gegensatz,
sondern ein unzertrennliches Paar. Wir dürfen die beiden nicht
gegeneinander ausspielen: Nicht entweder Wort oder Sakrament,
sondern Wort und Sakrament: In Jesus Christus ist beides verbunden.
Denn er ist Wort und Ursakrament, sichtbar gewordenes Wort.
Das ist gut katholisch. Es ist derselbe Christus, der sich uns in der
Eucharistie als Nahrung schenkt und der uns in seinem Wort verwandelnd
entgegenkommt. Christus, der unter den Gestalten von
Brot und Wein wirklich gegenwärtig (real präsent) wird, ist auch im
Wort gegenwärtig, das im Gottesdienst verkündet wird. Mit Recht
haben die Theologen der Alten Kirche das Wort Gottes stets hoch
geschätzt: Das in der Liturgie gefeierte Wort ist für sie Brot, Speise
für die Seele; die hl. Schrift ist ‚Tisch des Wortes‘, und was an ihm geschieht,
ist ‚Wortkommunion‘. Ambrosius von Mailand identifiziert
den ‚Leib des Sohnes Gottes‘ mit der ‚Überlieferung der hl. Schriften‘
(Ambrosius, expos. in Lc. 6,33). Papst Benedikt XVI. bringt es auf den
Punkt, wenn er von der ‚Sakramentalität des Wortes‘ spricht und
betont: ‚Die Sakramentalität des Wortes lässt sich in Analogie zur
Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes
und Weines verstehen‘ (Verbum Domini 56).“