Mehr als das Schweigen der WaffenWas Frieden wirklich bedeutet

Die Welt sehnt sich nach einem Ende der Kriege in Gaza und der Ukraine. Doch manchmal stehen billige Kompromisse einem gerechten Frieden im Weg. Eine wichtige Unterscheidung von Thomas von Aquin zeigt, worauf es ankommt.

Johannes Hartl
© Rudi Töws

In Gaza hungern Tausende und die leidgeprüfte Ukraine sehnt sich nach einem Schweigen der Waffen. Wenn der Krieg tobt und entsetzliche Bilder so lange die Nachrichten dominieren, bis man sich daran gewöhnt hat und abstumpft, werden die Rufe nach dem Frieden immer lauter. Endlich also im August ein Treffen zwischen Trump und Putin. Wer über die freundlichen Gesten nicht nur beglückt ist, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, es gehe ihm vielleicht nicht wirklich um den Frieden.

Deutschland liefert nunmehr auch keine Waffen mehr nach Israel. Es sei, so hört man aus der westlichen Welt, dort endlich Zeit für den Frieden. Kirchenvertreter stimmen besonders laut ein in dem menschlich so doch verständlichen Ruf nach dem Frieden. Kein Krieg dieser Welt ohne päpstliche Friedensappelle.

Doch was genau ist mit diesem Wunsch verbunden? Ist er mehr als die schlichte, emotionale Reaktion auf die unerträgliche Vorstellung der Grausamkeiten eines Krieges?

In seiner "Summa Theologica" erklärt Thomas von Aquin den scheinbar haarspalterischen Unterschied zwischen den Begriffen Concordia (Einmütigkeit) und Pax (Frieden). Er konkretisiert: Der Frieden enthalte zwar die Einmütigkeit als ein wesentliches Element, doch füge er ihr noch etwas hinzu (STh II-II 29,1). Friede sei also mehr als die bloße Eintracht, mehr als die Übereinkunft in einem gemeinsamen Wollen.

Diese Formulierung verblüfft. Bestünde Friede gerade in der heutigen Welt nicht zunächst und zuallererst im Schweigen der Waffen? Nein, würde Thomas sagen, das wäre noch lange kein Frieden, es wäre bestenfalls Einmütigkeit. Einmütigkeit jedoch, also das Übereinstimmen bezüglich etwas, könne auch durch äußeren Zwang oder durch Angst hervorgerufen werden.

Wäre es zum Beispiel also Friede, wenn die Ukraine einfach die Niederlage gegen den Aggressor akzeptierte? Wäre es Friede, wenn Israel auf einen völligen Sieg über die Hamas verzichten würde, damit die Geiseln freikommen und die internationale Kritik abebbt?

Und hier wird bereits deutlich, wie oberflächlich so manches Gerede vom Frieden ist. Denn inwiefern wäre dem Frieden ein wahrer Dienst erwiesen, wenn ein schwelender Konflikt lediglich verzögert wäre, um danach umso heftiger aufzulodern? Wenn nur die zeitweise Abneigung gegen das Blutvergießen oder die Angst vor einer Niederlage zur beidseitigen Concordia führte?

Wäre es zum Beispiel also Friede, wenn die Ukraine einfach die Niederlage gegen den Aggressor akzeptierte? Wäre es Friede, wenn Israel auf einen völligen Sieg über die Hamas verzichten würde, damit die Geiseln freikommen und die internationale Kritik abebbt?

Wer sich ernsthaft diesen Fragen stellt, dem kommt das Wort "Frieden" etwas schwerer über die Lippen. Tatsächlich müsste man dann einräumen: selbstverständlich ist Frieden ein unfassbar wichtiges Ziel. Bloße Einmütigkeit jedoch wäre noch lange kein Frieden. Sie könnte sogar, und das ist die Gefahr, ein fauler Friede, ein verlogener Kompromiss sein.

"Peace for our time", verkündete Neville Chamberlain zuversichtlich nach seinem Treffen mit Hitler. Es war der September 1938 und alles Gerede vom Frieden war nur eine Farce. Es wäre damals besser gewesen, auf Winston Churchill zu hören, der seit Jahren zur Aufrüstung gegen Nazideutschland drängte. Nur wenige Monate später war der Zweite Weltkrieg da und der für den September 1939 geplante Reichsparteitag musste abgesagt werden. Er hatte das Motto: "Reichsparteitag des Friedens". Am ersten Tag des Monats rollten deutsche Panzer nach Polen.

Wäre es besser gewesen, die Alliierten hätten sich aus dem Krieg herausgehalten und "Frieden" mit Deutschland bewahrt? Oder müsste man nicht viel unbequemer, aber ehrlicher zugeben: Der Frieden ist nicht immer das höchste Gut. Oder richtiger: Für den dauerhaften und gerechten Frieden ist manchmal Konflikt unvermeidlich. Der billige Kompromiss, die faule Schein-Einmütigkeit kann geradezu der Feind des gerechten, wahrhaftigen Friedens sein.

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