Gegen den "Heiligen Rest"Wie Glaubensleben als Minderheit gelingen kann

Den klassischen Kirchengemeinden droht die Krise. Statt starr an alten Strukturen festzuhalten, ist es an der Zeit, den Fokus darauf zu lenken, wie künftig Gemeinschaft erlebt werden kann.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Schon mal vom "Heiligen Rest" gehört? Die Bezeichnung ist, wenn ich das recht verstehe, meist abfällig gemeint und soll eine Gruppe kennzeichnen, die sich mit der römisch-katholischen Kirche identifiziert, dabei lehramtstreu leben möchte und nach dem Niedergang der Volkskirchen übrig bleiben soll. Diese Gruppe wird gern als in ihrer Tendenz fundamentalistisch verstanden, weil sie sich dem freiheitlichen Zeitgeist verschließe und es wage, nicht für die hierzulande wichtigen Reformanliegen zu kämpfen, sondern stattdessen ihren Fokus auf eine intensive Glaubenspraxis lege.

Von außen betrachtet muss ich wohl Teil dieses "Heiligen Rests" sein. Meine Familie und ich haben uns eine Gemeinde gesucht, in der die Kirche jeden Sonntag voll ist und in der die Schönheit des überlieferten Glaubens im Mittelpunkt steht.

Die Unterstellung: diese Personen fühlen sich den lauen Katholiken überlegen, gerieren sich als Besitzer der Wahrheit und Gewinner der Zukunft. Sie selbst empfänden den Begriff auch gar nicht als etwas Negatives, sondern als Adelung und Ziel.

Mit dem Auto in die Kirche

Von außen betrachtet muss ich wohl Teil dieses "Heiligen Rests" sein. Meine Familie und ich haben uns eine Gemeinde gesucht, in der die Kirche jeden Sonntag voll ist und in der die Schönheit des überlieferten Glaubens im Mittelpunkt steht. Gern würde ich den klassischen Gemeinde-Katholizismus weiterleben, doch das ist eine einsame Angelegenheit geworden (Feiertage oder besondere Einschnitte wie die Erstkommunion mal ausgenommen). Mit Anfang 30 kann ich die etwa Gleichaltrigen fast an einer Hand abzählen, wenn ich irgendwo spontan einen Gottesdienst besuche. Es fühlt sich nicht gut an, eine Minderheit zu sein.

Dass da Sammelpunkte interessant werden, die nicht nur an Feiertagen eine Glaubensgemeinschaft versprechen, das spricht sich schnell herum. Den Traum der vitalen Ortspfarrei habe nicht nur ich ausgeträumt, viele nehmen weite Strecken auf sich, um Gemeinschaft zu finden. Das erlebe ich an Wallfahrtsorten oder bei Pfarreien, die aus unterschiedlichen Gründen eine besondere Strahlkraft haben.

In meiner Kindheit konnte ich in fünf Minuten zur Kirche laufen und dort mein Glaubensleben mit dem Dorf und vor allem den Mitschülern teilen. Die Kirche gehörte im sozialen Radius ganz natürlich dazu. Dass ich diese Normalität meinen Kindern so nicht mehr bieten kann, das schmerzt. Wenn sie heute die Messe fußläufig erreichen wollen, können sie sicher sein, dort wenige (wenn überhaupt) andere Kinder anzutreffen. Und das gilt nicht nur für die Großstadt, in der wir jetzt leben, sondern mittlerweile auch für mein altes Heimatdorf.

Jetzt geht es also mit dem Auto zur Kirche und damit zur Illusion einer heilen katholischen Welt. Die vordersten Bänke sind dort von Kindern besetzt. Für die religiöse Sozialisation ist das doch wichtig, oder nicht? Wie kann ich meinen Kindern die Relevanz vermitteln, wenn sie keine Altersgenossen sehen? Kein Kind möchte nur Zierde in einem Seniorenclub sein.

Ich fände es auch schön, wenn das die reguläre Ortsgemeinde weiter erfüllen könnte, doch die Gegenwart (und vor allem Zukunft) sieht an vielen Orten für meine Altersgruppe und die meiner Kinder doch leider nicht rosig aus.

Mancherorts wird nach der Messe sogar Katechese angeboten oder man trifft sich zu einer gemeinsamen Unternehmung. Über viele Wochenenden hinweg entwickeln sich Freundschaften, die gleichen Werte verbinden. Kirche braucht Gemeinschaft. Keine Frage: Ich fände es auch schön, wenn das die reguläre Ortsgemeinde weiter erfüllen könnte, doch die Gegenwart (und vor allem Zukunft) sieht an vielen Orten für meine Altersgruppe und die meiner Kinder doch leider nicht rosig aus.

Die Volkskirche kommt an ihr Ende

Bin ich deshalb Teil der angeblichen Fundi-Gruppe "heiliger Rest"? Gibt es diese überhaupt wirklich? In den negativen Zuschreibungen rund um den Begriff finde ich mich jedenfalls nicht wieder. Reformen interessieren mich auch. Aber ich will zuerst einmal einfach Normal-Katholisch sein, meinen Glauben ordentlich leben und ihn vor allem auch meinen Kindern authentisch präsentieren können. Das ist in der aktuell massiven Umbruchsituation bekanntlich eine Herausforderung: Das Interesse sinkt, Austrittszahlen steigen, die Zahl der Priesterweihen, Taufen und Eheschließungen geht zurück. In manchen Bistümern müssen bald über tausend Gemeinden von wenigen hundert Priestern betreut werden. Auch für die pastoralen Mitarbeiter ist all das schon jetzt eine massive Überforderung. Kann man da an der klassischen Gemeinde festhalten?

Die Volkskirche scheint an ihr Ende zu kommen. Dass man sich hier als junger Mensch, der seinen Glauben leben möchte, in der Konsequenz eine dafür passende vitale Gemeinschaft sucht, das darf doch nicht überraschen – wenn man denn eine findet. Denn für echte spirituelle Zentren, dafür fehlt vielen Bistümern noch die passende Vision. Für mich ist das die Zukunft. Und das ist dann einfach eine neue, ehrliche Form von Minderheits-Kirche und gelebter Gemeinschaft im Glauben, aber doch nicht der "heilige Rest". 

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