Neulich war ich bei meiner Friseurin. Mit meinen zwei Kleinkindern. Die waren irgendwie nicht fit genug für den Kindergarten, aber auch nicht wirklich krank. Weil keine Familie ums Eck wohnt und die Babysitterin spontan nicht konnte, mussten sie eben mit. Eltern lieben das. Dass der Kleinste ein passionierter Puzzler ist, kam mir an dem Morgen entgegen, er tat das, was die Augen aller Betreuungspersonen in Not zum Leuchten bringt: Er beschäftigte sich friedvoll selbst. Der Größere dagegen brachte Anna, so heißt die Stylistin meines Vertrauens, Schweißperlen auf die Stirn, weil er alle mitgebrachten Spiele langweilig fand, natürlich das ganze Equipment untersuchen musste und es vor allem auf einen teuren Handspiegel abgesehen hatte.
Selbstverständlich bricht man in so einer Situation seine Regeln, wird schwach und gibt dem Dreikäsehoch verzweifelt ein Objekt der Begierde, das er sonst nie haben darf, damit Ruhe herrscht. In dem Fall war das mein Geldbeutel. Dessen Inhalt purzelte dann schnell auf den Frisiertisch und wurde eingehend untersucht. Aus einem kleinen Fach mit Reißverschluss holte er etwas, von dem ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich es täglich mit mir herumtrage: ein kleines Büchlein mit glänzendem Einband, in dem ein Tropfen Wachs neben einem Bild vom heiligen Josef eingefasst ist.
Heiße Ware im Devotionalienladen: das "Agnus Dei"
Auch Anna wurde neugierig. Das kleine Büchlein ist ein sogenanntes "Agnus Dei", was vermutlich nur Nerds katholischer Frömmigkeit etwas sagen dürfte. Dieses Wachs ist angeblich irgendwann einmal der Osterkerze im Petersdom entnommen worden. Die Tradition ist ziemlich alt, seit dem Mittelalter wurden kleine Wachsmedaillons mit einem "Lamm Gottes" geprägt, auf der Rückseite ein Heiligenbild oder das Wappen des amtierenden Papstes. Nicht alle waren aus dem vatikanischen Wachs gemacht, diese sind aber die begehrtesten, anscheinend sogar vermischt mit Katakombenstaub, gesegnet vom Papst persönlich. Ausgestellt wurden diese in Monstranzen in Klöstern oder Kirchen. Weil aber auch das Kirchenvolk so etwas haben wollte, wurde immer wieder ein wenig Wachs davon abgeschabt und den Menschen in verzierter Fassung mitgegeben. Warum? Dem "Agnus Dei" wurde ein Schutz gegen alle möglichen Gefahren zugeschrieben. In der Aufklärung wurde die Praxis wohl kritisiert, die Verbreitung hat es nicht gestoppt. Heute ist es aber kaum noch bekannt.
Irgendwann bekam ich mal den Tipp, dass es so etwas Besonderes in einem Devotionalienladen an einem bestimmten Wallfahrtsort gibt. Natürlich nicht einfach so. Raunt man der Ordensfrau an der Kasse "Agnus Dei" zu, greift die unter die Ladentheke, kein Witz!
Die heiße Ware interessierte meinen Sohn natürlich sofort. Mir war's etwas peinlich; was denkt meine Friseurin jetzt nur von mir? Wirkt das nicht verschroben, bigott oder sogar abergläubisch? Doch die war sehr angetan. "Ich kann's total verstehen", sagte sie. "Ich bin jetzt auch keine, die ständig den Rosenkranz betet, trotzdem habe ich einen an meinem Rückspiegel im Auto hängen. Ich weiß auch nicht genau, warum."
Wir lachen beide verlegen. Sieht man das nicht sogar in vielen Autos, oder ist das nur hier in Bayern so? Jedenfalls: Den Rosenkranz am Rückspiegel, den habe ich auch. Bevor ich losfahre, berühre ich kurz das Kreuz, wenn ich daran denke. Irgendwie fahre ich dann mit einem besseren Gefühl – und in der Tasche fährt das "Agnus Dei" mit.
Ich mag es, wenn der Glaube greifbar ist. Es ginge auch ohne die Gegenstände, doch an diesem Tag habe ich das Gefühl, dass es gerade diese kleinen Zeichen sind, die auf einfache Weise die Zuversicht des Christentums zugänglich machen und einem Hoffnung geben, auch schwierige Situationen gut zu überstehen.
Kleine Gegenstände, magisch aufgeladen? Wohl eher nicht. Viel mehr eine Erinnerung an den Draht nach oben. Ich mag es, wenn der Glaube greifbar ist. Es ginge auch ohne die Gegenstände, doch an diesem Tag habe ich das Gefühl, dass es gerade diese kleinen Zeichen sind, die auf einfache Weise die Zuversicht des Christentums zugänglich machen und einem Hoffnung geben, auch schwierige Situationen gut zu überstehen. Noch mal allein mit beiden Kleinkindern zum Friseur will ich trotzdem nicht.