Kommentar zum Beteiligungsverbot beim CSDFalsche Neutralität

Der Bundestag hat einer Angestelltengruppe die Beteiligung am CSD in Berlin untersagt. Damit handelt er nicht etwa neutral, sondern vernachlässigt den staatlichen Auftrag zum Schutz der Menschenrechte. Eine Entscheidung, gegen die auch die Kirchen ihre Stimme erheben sollten.

Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Ein Staat, der sich auf das Grundgesetz gründet, ist nicht wertfrei. Im Gegenteil: Er hat sich selbst eine Agenda vorgelegt. Er steht ein für die unantastbare Würde jedes Menschen (Art. 1 GG), für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Daher verdient die jüngst veröffentlichte Entscheidung der Bundestagsverwaltung, dem Regenbogennetzwerk des Bundestags die Beteiligung am diesjährigen Christopher Street Day (CSD) in Berlin zu untersagen, deutliche Kritik.

Begründet wird das Verbot mit dem Gebot staatlicher Neutralität – außerhalb des Dienstes stehe Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Teilnahme frei. Wenn sich Beschäftigte des Bundestags öffentlich und friedlich für die Rechte von queeren Menschen einsetzen, ist dies jedoch kein parteipolitischer Aktivismus, sondern gerade Ausdruck unserer verfassungsmäßigen Werteordnung. Der Trägerverein Berliner CSD e.V. wendete sich deshalb zu Recht gegen das Vorgehen der Bundestagsverwaltung: „Wer die Teilnahme von queeren Netzwerkgruppen staatlicher Institutionen untersagt, kündigt stillschweigend den Konsens auf, dass Grundrechte sichtbar verteidigt gehören.“

Der CSD erinnert an den Widerstand queerer Menschen in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeigewalt und staatliche Repression im Juni 1969. Diese sogenannten Stonewall-Aufstände wurden zum Ausgangspunkt der weltweiten Bewegung für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Dabei sind die CSD-Paraden mehr als bunte und teils schrille Feiern. Sie sind lebendiger Ausdruck einer vielfältigen, offenen Gesellschaft. Mit Kreativität, Lebensfreude und friedlichem Protest feiern sie das Menschsein in all seinen Facetten und richten eine eindringliche Botschaft an den Staat und die Zivilbevölkerung: Freiheit und Gleichheit sind nicht selbstverständlich. Wir müssen alle gemeinsam schützen, was im Grundgesetz garantiert wird.

Die Teilnahme an den Demos als unvereinbar mit der Neutralitätspflicht zu klassifizieren, bedeutet, sich ausgerechnet dort zurückzuziehen, wo der Staat und seine Institutionen Haltung zeigen müssten. Auf diese Aufgabe sollten auch Christinnen und Christen den Staat immer wieder verpflichten, wie es Desmond Tutu, der 2021 verstorbene südafrikanische Bischof, Zeit seines Lebens tat. Der Anglikaner hat die Gefahr falscher Neutralität klar benannt: „Wenn man sich in Situationen der Ungerechtigkeit neutral verhält, hat man sich auf die Seite des Unterdrückers gestellt.“

Das Einstehen für Menschenrechte und der Versuch, Minderheiten unsichtbar zu machen, sind keine gleichwertigen Positionen, denen gegenüber man sich neutral verhalten könnte. Gerade die Kirchen, die aus ihrem Glauben heraus für die unbedingte Achtung der Menschenwürde einstehen, sollten daran erinnern: Wer angesichts von Diskriminierung Schweigen als Neutralität ausgibt, macht sich mitschuldig.

Im Gedenken an die Stonewall-Aufstände wird der Juni als pride-month („Monat des Stolzes“) bezeichnet – eine Ermutigung an queere Menschen, offen und ohne Angst zu ihrer Identität zu stehen. Grund, stolz auf sie zu sein, geben auch Kirche und Staat, wo sie die Menschen ohne Vorbehalte in ihrer Selbstentfaltung unterstützen.

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