Pfingsten heuteSprachwunder, Sprachverwirrung

Vor 2000 Jahren war es ein Wunder, wenn Sprachgrenzen überwunden wurden. Wie steht es heute um die Verständigung zwischen Menschen?

Am Anfang der Welt herrschten laut Bibel auch linguistisch gesehen paradiesische Zustände: „Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte“ (Gen 11,1). Das änderte sich schlagartig, als die Bewohner der Stadt Babel – zu Deutsch „Wirrsal“ – beschlossen, einen Turm bis zum Himmel zu bauen, um sich „einen Namen zu machen“ (Gen 11,4). Dem Herrn missfiel dieser selbstüberhebliche Versuch so sehr, dass er die Menschen mit einer räumlichen Zerstreuung und einer sprachlichen Verwirrung bestrafte. Ein zwieträchtiger Zustand, der lange Zeit anhalten und erst durch das Pfingstereignis in der Jerusalemer Urgemeinde aufgehoben und geheilt werden sollte: Die Apostelgeschichte erzählt, dass sich bei einer Versammlung der Jüngerinnen und Jünger ein Brausen erhob „und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden“ (2,4).

Wie ist es heute – zu Pfingsten im Jahr 2025 – um die sprachliche Situation der Welt bestellt? Linguisten schätzen, dass heute auf der ganzen Erde etwa 7000 verschiedene Sprachen existieren, aber dank immer besserer Übersetzungstechnik und KI-Programmen können diese Hürden vermehrt überwunden werden. Befinden wir uns also auf bestem Weg zurück zu einem paradiesischen Zustand der (Sprach-)Einheit und Völkerverständigung?

Blickt man in die aktuellen Nachrichten, so fällt die Antwort eher pessimistisch aus: Zwar hat der einfachere Austausch von Menschen verschiedenster Länder sicherlich zu einigen internationalen Annäherungen geführt. Aber ein rein akustisches Verständnis führt nicht automatisch zu einer substanziellen Verständigung, zum Teilen derselben Werte oder gar zu einer Herz-und-Seelen- Verbindung.

Abseits davon ist gegenwärtig die Zunahme einer anderen – brandgefährlichen – „Sprachverwirrung“ zu verzeichnen: der Lüge als Machtinstrument autoritärer Herrscher und geistiger Brandstifter. Schamlos lancieren sie Falschmeldungen zu Propagandazwecken, um Kritiker zu vernichten oder um ihre Getreuen auf deren Loyalität zu testen. In einem Akt der Selbstüberhebung stellen sie sich über die Unterscheidung zwischen wahr und falsch. Zugleich werden Wertbegriffe wie Meinungsfreiheit ausgehöhlt und selbst zum Werkzeug gegen freie Meinungsäußerung umgeschmiedet. Die Folgen sind eine akute Zunahme gesellschaftlicher Spaltungen und Diskriminierungen sowie eine schrittweise Zerstörung demokratischer Errungenschaften.

Kann angesichts dessen nicht Pfingsten – die Feier des vereinenden Sprachwunders – eine Motivation für uns Christen darstellen, uns vor bewussten Sprachverwirrungen und Fakenews zu hüten, uns nicht in Lügennetze einspinnen und auseinanderdividieren zu lassen? Vielmehr sollten wir uns aus unserer Botschaft heraus den Gespinsten bewusst widersetzen und – um es mit dem tschechischen Menschenrechtler Václav Havel zu sagen – als Akt der Resistenz versuchen, „in der Wahrheit zu leben“. Nicht zuletzt hat uns Jesus, dessen Botschaft seit dem Jerusalemer Pfingstereignis in alle Welt getragen wurde, ermahnt: „Eure Rede sei ‚Ja ja, nein nein‘ was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen“ (Mt 5,37).

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