Geisteswissenschaften unter DruckEinseitig exzellent

Im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder wurden jetzt 70 deutsche Forschungsvorhaben ausgewählt, die in den kommenden Jahren besonders gefördert werden. Das Thema Religion kommt dabei praktisch nicht mehr vor, und Geisteswissenschaften sind generell unterrepräsentiert – eine unverständliche Einseitigkeit, findet der Münsteraner Theologe Oliver Dyma.

In der vergangenen Woche haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschaftsrat verkündet, dass in der aktuellen Runde der Exzellenzstrategie 70 sogenannte Exzellenzcluster über die nächsten sieben Jahre mit insgesamt 539 Millionen Euro pro Jahr gefördert werden. 45 Cluster werden fortgesetzt, 25 neue kommen hinzu. Das Ergebnis sei „durch einvernehmliche Förderentscheidungen von Wissenschaft und Politik auf der Grundlage internationaler wissenschaftlicher Begutachtungen und unter ausschließlich wissenschaftlichen Qualitätskriterien“ zustande gekommen, so die DFG.

Grundsätzliche Kritik an der Exzellenzstrategie wird immer wieder geäußert. Anfang des Jahres bemängelte das Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft, dass eine Evaluation der Strategie ausbleibe. Die finanzielle Lage vieler Universitäten ist schwierig. Während die Grundausstattung gefördert werden sollte, erzeugt die Exzellenzstrategie künstlich eine Konkurrenz um zusätzliche Gelder. Hier haben diejenigen Universitäten bessere Ausgangsbedingungen, die mehr Ressourcen einsetzen und mit starken Fachbereichen die umfangreiche Antragstellung schultern können. Allerdings ermöglichen die Förderungen Schwerpunktsetzungen außerhalb des regulären Universitätsbetriebs: Kompetenzen werden aufgebaut, Vernetzungen geschaffen und vertieft, neues Wissen generiert. Die Universitäten profitieren von Strukturen und Folgeprojekten.

Der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster wird nach drei erfolgreichen Phasen nicht weiter gefördert. Weil er bereits seit 2007 läuft, war eine Weiterförderung bereits vorab fraglich. Die Erfolge des Clusters sind allerdings beachtlich: Im Bereich religionsbezogener Forschung wurde eine hohe Kompetenz aufgebaut, die sich durch Interdisziplinarität und thematische Vielfalt mit großer geographischer wie historischer Spannweite auszeichnet.

Die in den Antrag investierte Arbeit war jedoch nicht vergeblich: Die Universität profitiert von Einrichtungen wie dem Service Center for Digital Humanities (Beratungszentrum für digitale Geisteswissenschaften) oder weiterlaufenden Projekten, die aus dem Cluster heraus entwickelt wurden. Zu Letzteren gehören die Langfristvorhaben Edition des Gesamtwerkes von Ibn Nubātah al-Misrī und Asking the Pope for Help, ein Projekt über die Bittschreiben von Jüdinnen und Juden an den Papst im Zweiten Weltkrieg.

Für den am Ende nicht erfolgreichen Antrag legte der Cluster unter dem Motto Belonging and Non-Belonging („Zugehörigkeit und Nicht-Dazugehören“) den Fokus auf die Paradoxie, dass einerseits die Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften abnimmt, andererseits Religion und Religiosität als Zuschreibungen von Identität gesellschaftlich und politisch zunehmend wichtig werden. Die aktuelle Relevanz religiöser oder pseudo-religiöser Argumente wird in der gegenwärtigen Politik der USA, im Krieg gegen die Ukraine oder auch beim Erstarken der neuen Rechten in Europa ersichtlich.

Unverständlich bleibt daher, warum die Dimension von Religion und Religiosität in den geförderten Clustern praktisch nicht abgebildet ist. So thematisiert der Cluster „Die politische Dimension von Ungleichheit“ (Konstanz) zwar Effekte von Gruppenzugehörigkeit oder das Nürnberger Projekt „Transformation der Menschenrechte“ Megatrends der Gegenwart wie Autokratisierung, ohne jedoch Religion bzw. die Rolle der Religionen explizit zu benennen. In der Kurzbeschreibung des Berliner Clusters „Auseinandersetzungen um das liberale Skript“ erscheinen sie lediglich in Form von fundamentalistischen religiösen Denkern oder von Religionen, die liberale Ideen ablehnen.

Dass überhaupt nur zehn Prozent der geförderten Cluster aus dem Bereich der Geisteswissenschaften kommen, liegt ganz auf der Linie gegenwärtiger Forschungsförderung. Dass Religion und Religiosität nahezu keine Rolle spielen, wird weder der Religionsforschung noch der gesellschaftlichen Relevanz des Themas gerecht. Denn eine Auseinandersetzung mit religiösen Dynamiken sowie der Rolle von Religionen für die Demokratie ist unerlässlich.

Anzeige: Die Kraft eines fokussierten Lebens. Von Johannes Hartl

Christ in der Gegenwart im Abo

Unsere Wochenzeitschrift bietet Ihnen Nachrichten und Berichte über aktuelle Ereignisse aus christlicher Perspektive, Analysen geistiger, politischer und religiöser Entwicklungen sowie Anregungen für ein modernes christliches Leben.

Zum Kennenlernen: 4 Wochen gratis

Jetzt gratis testen