Die Sache mit dem Namen

Liebe Leserinnen und Leser der Pastoralblätter,

was um alles in der Welt hat unsere Eltern dazu bewogen, bei unserer Geburt ausgerechnet jenen Namen für uns auszusuchen, den wir dann ein ganzes Leben lang mit uns herumtragen müssen? Wenn Sie noch die Möglichkeit haben, fragen Sie sie ruhig einmal. Die Antworten können erhellen und ernüchtern.

Wenn Sie zu meiner Generation gehören (zu den ausklingenden 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts), dann lag seinerzeit die recht hohe Wahrscheinlichkeit in der Luft, den Vornamen eines angesagten Film- oder Schlagerstars abzubekommen oder den einer königlichen Prinzessin. Und als Zweitnamen bekam man aus alter Tradition den Vornamen seines Taufpaten gratis dazu. Der hieß in meinem Fall Rudi, was meine Freunde bis heute regelmäßig in Feierlaune versetzt.
Der mir zugedachte Vornamen Jochen taucht nicht unter den Top 35 jener aufmüpfigen Jahre auf, der meines Bruders Volker allerdings schon. Er belegt immerhin Platz 25. Eine Frechheit. Meine Mutter versucht sich zu erinnern und sagt mir: „Du solltest nach unserem Wunsch eigentlich ein Mädchen werden und Ulrike heißen (die damalige Top 18), aber das durfte nicht sein und so fanden wir Jochen im Klang einfach passend zum Nachnamen.“ So viel zu ernüchternden Antworten auf die Namensfrage.

Gehören Sie der jetzigen Elterngeneration an, dann ist zu vermuten, dass dem letztgültigen Namensentscheid für das hoffnungsvolle neue Leben mindestens neun intensive Monate mit einem Stapel Namensbücher auf dem Nachttisch vorausgingen, dazu drei oder mehr handgeschriebene Listen mit jeweils 138 Namen am Kühlschrank klebten, die es in die nähere Auswahl geschafft haben; außerdem dürfte es über die Namensfrage zu mindestens zwei Zerwürfnissen gekommen sein mit dem Erzeuger, dem Lebensabschnittsbegleiter bzw. der werdenden Mutter, und das bis wenige Sekunden vor der Geburt.
Im Jahr 2025 zählten Noah („Ruhe“ bzw. „beruhige dich“), Matteo („das Geschenk Gottes“) und Sophia („die Weise“) zu den beliebtesten Vornamen, dazu gesellen sich Namen wie Lina („die Palme“ oder „die Zarte“) und Luna („der Mond“, aber meist weiblich), Finn („der/die Weiße, Helle, Blonde“ oder „d. Wanderer/in“) und Liam (Kurz für: William, „der entschlossene Krieger“).

Gehören Sie zur Großeltern- oder gar zur Urgroßelterngeneration, dann werden viele von Ihnen seinerzeit gesegnet worden sein mit den Namen von familiären Vorfahren, die die Familie freundlich in Ehren halten wollte. Da folgte auf den Karl senior dann kurzerhand der Karl junior, auf die Großmutter Liesel folgerichtig eine kleine, zappelnde Lieselotte.

Wurden Sie gar zu Zeiten Martin Luthers geboren, nun, dann war jede Diskussion über den Namen im Vorfeld sowieso obsolet, denn Ihnen wurde der Name der oder des Tagesheiligen aufgebrummt, an dessen oder deren Tag Sie zur Taufe in die Kirche getragen wurden. Luther wurde am 10.11. geboren, am 11.11. getauft und kam unverzüglich mit dem Vornamen des Tagesheiligen St. Martin nach Hause. Nur zwei Tage später wäre aus ihm ein Johannes geworden. Oder gar ein Nikolaus. Stellen Sie sich das mal vor: ein Nikolaus Luther, mitten im November.

Wenn Sie statt vor über 500 Jahren aber erst in hundert Jahren geboren werden …, tja, dann werden wir uns freuen können, wenn Sie bis dahin nicht einfach nur noch eine Nummer sind, sondern immer noch einen Namen tragen und auch sonst der überwiegende Teil an Ihnen noch irgendwie menschlich ist.

Es ist so eine Sache mit den Namen. Erst recht mit der Bedeutung, die man ihnen beimisst. Die hat sich über Jahrhunderte und Jahrtausende ständig verändert und wandelt sich auch heute und morgen noch munter weiter.
Während die Funktion von Namen schnell einleuchtet und klar abgegrenzt ist – sie definieren in Verbindung mit dem Nachnamen und unserem Geburtstag sowie dem Geburtsort einerseits unsere Zugehörigkeit und andererseits unsere Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit – nimmt der weitere Bedeutungshorizont unserer Namen dann die Ausmaße einer Galaxie an: sie sind dann Ausdruck tiefster religiöser Überzeugungen oder dienen der Vorbereitung eines werdenden Superstars in Windeln, sie keimen in der Vorahnung auf einen Künstlergeist, auf einen Papst oder Präsidenten oder wachsen sich aus zur vermessenen Hoffnung auf lebenslange Unschuld und Reinheit. Kurz: Sie überhöhen und überfordern den Menschen.

Beim Blick auf die Namen für neugeborener Strampelgeister in unserer Zeit ist das Bleigewicht schon zu spüren, dass sich da auf einige Minischultern legt. Und nicht nur wegen einiger völlig irrer Namen, mit denen Menschenkinder nach dem geistfreien Willen ihrer Eltern (und auch noch – unfassbar! – mit Gestattung des zuständigen Standesamtes) in ihr Leben aufbrechen. Wenn Sie Ihr Ihr Kind Pepsi-Carola, Rapunzel oder Winnetou nennen wollen, nur zu. Es sind zugelassene Namen. Popo wurde dagegen abgelehnt.
Auch mit anderen derzeit „angesagten“ Namen legt sich in diesem Zeitalter, in dem der Mensch mit Vorliebe um sich selbst kreist, ein Erwartungshorizont auf das Kind, dem es in seinem Leben kaum gerecht werden kann. Der Name Emilia ist wunderschön, aber er zieht in seiner Bedeutung bereits die tonnenschwere Erwartung im Schlepptau, dass sich das Kind im Leben als besonders „fleißig“ und „eifrig“ erweisen wird. Der kleinen Leni wird mit dem Namen aufgebürdet, dass sie immerzu „strahlt“ und „leuchtet“ und dazu noch „mild“ und „sanft“ durchs Leben schreitet. Winz-Leon in der Wiege werden bereits „Löwen“-Qualitäten ins Stammbuch geschrieben, bevor er selbst noch richtig brüllen kann; Felix hat gefälligst ein Leben lang „glücklich“ zu sein, während es für den kleinen Max nur eine Position im Leben geben kann: Ganz vorne. „Der Größte“ soll er von Anfang an sein.

Wie wohltuend und druckmildernd ist da doch der Blick auf so manchen uralten biblischen Namen – aus Zeiten, in denen längst nicht alles gut war, doch wenigstens bei der Namensgebung nicht so sehr der einzelne Mensch und seine erhofften Fähigkeiten im Mittelpunkt standen, sondern vielmehr ein im Name verborgener Segenswunsch, der das neue Leben begleitet hat.
So wurde dem biblischen Jakob und seinem Umfeld mit dem ersten Blick auf seinen Namen zwar ein Leben lang mitgeteilt, dass er der zweite im Zwillingspaar ist: „der Fersenhalter“. (1 Mose 25,26) Doch in der tieferen Bedeutung wurde ihm als Segen und verborgen im Namen mindestens so sehr fürs Leben mitgegeben: „Gott schützt (dich)“. Schon sein Vater Isaak durfte mit der Gewissheit ins Leben aufbrechen, „dass Gott (dem Kinde zu)lacht“.
So erweist sich in einigen alten biblischen Namen Gottes Segen als verborgener Wunsch für das neugeborene Kind. Elisabeth darf sich freuen, denn „Gott ist die Fülle“, Michal darf staunen: „Wer ist wie Gott?“ Und selbst Rahel als „Mutterschaf“ darf in ihrem Namen bereits mindestens so sehr die verheißene Begleitung des guten Hirten herauslesen wie die ihr seinerzeit auf den Leib geschriebene Rolle als Muttertier. Nicht so sehr das „du musst, du sollst“ hängt also bei diesen biblischen Namen als Schwergewicht über einem beginnenden Leben, sondern das verheißungs- und vertrauensvolle „du darfst“, weil Gott selbst seine Begleitung zugesagt hat: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“. (Jesaja 43,1) Ein Namensruf wird da zum begleitenden Segen.

Und wie ist es mit „Gott“ selbst? Wie darf, wie will ich ihn oder sie oder es denn nennen und anrufen? Gott, oder Vater, Papa, Mutter, Barmherzige/r, Geistkraft, Allmächtige/r?
Das zweite Gebot warnt uns davor, den Namen Gottes zu missbrauchen. Und das meint tausendmal mehr als ein unbedacht gefluchtes „Herrgott nochmal!“ Gott hält so etwas locker aus. Er hat schon ganz anderes mit uns ausgehalten.
Das Gebot mahnt uns einige Schichten tiefer, Gott in seinem Namen nicht einzuschränken und einzusperren in unsere menschlichen Bilder- und Machtwelten; es mahnt uns eindringlich, seinen Namen nicht für unsere Interessen zu missbrauchen. „Ihn“ zum Beispiel nicht als Mann misszuverstehen mit den entsprechenden „männlichen“ Eigenschaften. Genauso wenig ist er als Frau misszuverstehen, als geflügeltes Engelwesen oder als einer unter vielen anderen Göttern mit einer bestimmten Eigenschaft und Schwerpunktaufgabe, etwa als Liebes- oder Rachegott, als strenger Erzieher oder als Kuscheloma. Gott ist um eine Unendlichkeit vielfältiger als die Seite, als das Bild, das ich gerade gerne in ihm/ihr sehen möchte.
Um die Gefahr solcher Vermenschlichung in der Hinwendung zu Gott zu vermeiden, finden wir im Älteren Testament für Gott die vier als Name unaussprechbaren Konsonanten: JHWH. Die Menschen hielten das Unaussprechbare nicht aus, suchten sich bald Vokale dazu und machten Anreden wie „Jahwe“ oder „Jehowah“ daraus, andere flüchteten sich in demütige Anreden wie „Adonai, Herr“, um Gott irgendwie beim Namen zu nennen und anzusprechen.

Wir sehen und beobachten heute deutlich die Gefahr der Vermenschlichung Gottes und seine Festschreibung auf bestimmte menschliche (Macht-)Bilder; wir billigen Gott und seinem Namen darum ein Universum mehr zu in dem, was er und sie und es ist und als was sich Gott uns erweist – und brauchen dennoch spätestens im Gebet eine Anrede, einen Namen für „ihn“.
Diese Anrede darf eine Vielfalt an Namen sein, denn: Diese gewählten Namen entspringen je und je unserem Vertrauen. Jesus gebrauchte den Vater-Namen im Vaterunser als Vertrauensanrede, nicht als einbetoniertes Denkmal mit den bekannten Folgen und Machtspielen seines Bodenpersonals.
Ein guter Name für Gott ist immer der, der aus einem bestimmten persönlichen Moment, Eindruck und Erfahrungshorizont zum Himmel aufsteigt. So mag der Kranke in seinem Bett ruhig den „heilsamen Gott“ anrufen und eine unschuldig Inhaftierte sich mit übervollem Herz an den „gerechten Gott“ wenden; so darf der junge Mönch Martin Luther in jungen Jahren den „Richter“ in seinem Gott sehen, ein junger Waise in unseren Tagen sein „Papa“ zum Himmel steigen lassen und ein Mensch, dem eine zweite, dritte und elfte Chance geschenkt wurde, zugleich den „Barmherzigen und Gnädigen“ besingen. All das sind, in diesem besonderen Moment, wohlklingende Namen, weil sie sich mit einem persönlichen Erleben verbinden.
Erst wenn sie verbindlich für alle festgeschrieben und universal in Stein gehauen werden, beginnen sie zu schmerzen.

Einige weitere Gedanken zur Sinngebung und Bedeutung von Namen finden Sie in dieser Ausgabe der Pastoralblätter, mit der wir Ihnen jetzt schon viel Freude wünschen.
Übrigens: Zu meiner eigenen Freude durfte ich meinen Namen dann doch noch in der Hitparade der beliebtesten Namen finden, auf Platz 1040. Jochen kommt aus dem altbiblischen Namen Jojakim bzw. Jojachin und bedeutet in etwa: „Gott richtet auf“, „Gott bestätigt“. Ich fahre jetzt gleich zu meiner Mutter, um ihr zu verzeihen.

Ihnen in dieser heller werdenden Zeit viel Erhellendes bei der Erforschung Ihres Namens, der Sie unverwechselbar und einzigartig macht und der Sie Gott sei Dank nicht auf eine einzige Bedeutung festlegt! Stehen Sie derzeit womöglich vor der Entscheidung, einen Namen für ein neues Leben aussuchen zu dürfen, denken Sie daran: Biblische Namen sind oft gute Ratgeber. In ihnen schlummert viel Segen.

Herzliche Grüße,

Ihre Redaktion der Pastoralblätter
und Ihr Jochen Lenz (Schriftleitung)

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