Vatikan und BerlinDoppelter Anfang

Ein neuer Papst für die katholische Kirche, ein neuer Bundeskanzler für Deutschland. Beide Wahlen lagen zeitlich eng beieinander – und unterscheiden sich doch immens.

Ulrich Ruh
Ulrich Ruh, Ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz© Christian Klenk

 Der Zufall wollte es, dass Anfang Mai innerhalb einer Woche sowohl die Wahl eines neuen deutschen Bundeskanzlers wie die des neuen Papstes stattfanden. Diese Vorgänge verbindet zunächst die Tatsache, dass die beiden Persönlichkeiten durch eine Wahl in ihr Amt kamen, was in der katholischen Kirche unüblich ist, aber schon die jeweiligen Wahlgremien waren sehr unterschiedlich zusammengesetzt: Im einen Fall die bei der vorausgegangenen  Bundestagswahl durch das Volk in freier und geheimer Wahl bestimmten Abgeordneten, im anderen Fall ein von den päpstlichen Vorgängern ohne feste Regeln berufenes Gremium aus hohen geistlichen Würdenträgern. Dazu kommen die Unterschiede im Drumherum. Die Papstwahl folgt einer traditionellen, mehrstufigen und aufwändigen Inszenierung, inklusive des Rauchzeichens aus der Sixtinischen Kapelle, während der Bundeskanzler in einem ganz und gar schmucklosen Prozedere gewählt und dann auch ernannt wird.

Es zeigen sich dabei zwei Welten. Auf der einen Seite die katholische Kirche, die weit mehr als die meisten anderen christlichen Kirchen über ein ausgefeiltes, vor allem liturgisches, Zeremoniell verfügt, auf der anderen der grundgesetzlich normierte demokratische Staat Bundesrepublik Deutschland, der noch mehr als die meisten Demokratien auf prächtige Repräsentation bei entsprechenden Anlässen verzichtet. Nicht nur der katholische Christenmensch bleibt damit, so er in einer demokratischen Ordnung wie der bundesdeutschen lebt, Bürger dieser beiden Welten. Es wäre für ihn nicht nur ungewohnt, würde sich der Staat hierzulande pompös in Szene setzen, sondern dieser braucht auch weiterhin keine zeremonielle Überhöhung. Die katholische Kirche wiederum muss nicht auf ihre vielen schönen Rituale verzichten, auch nicht auf die im Zusammenhang mit der Papstwahl. Aber sie wäre gut beraten, sich noch weniger auf die Faszination durch jahrhundertealte Zeremonien zu verlassen als auf das eine Grundgeheimnis, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Im Einstehen für die Menschenwürde ist sie damit auf ihre Weise Verbündete der demokratisch-freiheitlichen Ordnung.

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