Von der Lieblingsikone des verstorbenen Papstes war in den vergangenen Tagen häufig die Rede. Maria Salus populi Romani („Maria, Heil des römischen Volkes“) hängt in Santa Maria Maggiore, wo der Argentinier auf ausdrücklichen Wunsch begraben wurde (vgl. HK, August 2019, 52). Doch gibt es eine zweite Darstellung der Mutter Gottes, die es dem Pontifex angetan hatte. Diese andere Maria ist nicht kontemplativ, vielmehr geht sie aktiv einer anspruchsvollen Aufgabe nach: Sie entwirrt viele Knoten, die sich an einem langen Seil verwickelt haben. Das Motiv stammt aus dem Bistum Augsburg; wegen seiner einprägsamen und lebensnahen Symbolik wurde die Knotenlöserin oft kopiert, und ein Duplikat hängt im Gästehaus Santa Marta.
Vielleicht weist die eben abgelaufene Ära manche Gemeinsamkeit mit diesem Bild auf. Auch Franziskus mühte sich mit den Knoten ab, die ihm seine Vorgänger und seine Mitarbeiter ins Seil gedreht hatten. Manche konnte er lösen. Andere Verwicklungen ließ er durch seine Hände gleiten, ohne sie lösen. Manches kann ein Papst ändern, anderem muss er tatenlos zusehen. Wunschkataloge sind das eine, Machbarkeiten das andere. Auch die Maria auf dem Knotenbild ist noch weit entfernt vom Ziel. Man hat sogar den Eindruck: Kaum hat sie eine Verdickung aufgedröselt, da verhaspelt sich das lange Seil schon an der einer anderen Stelle.
Die barocke Sinn-Bild passt zu den zwölf Jahren, die Franziskus vollgemacht hat. Sprach er nicht von einer verbeulten Kirche? Nicht nur einem Papst geht es so. Welcher Lebenslauf lässt sich schon als „vollendet“, als geradlinig und knotenfrei beschreiben? Biografien bevorzugen deshalb das Imperfekt als geeignete Zeitform. Perfekt geht anders, es passt nicht in die strukturelle Unvollkommenheit des Lebens. Unfertig verlässt jeder Mensch diese Erde – ob Papst oder Privatmensch. Das ist zutiefst beruhigend, denn die ganz dicken Knoten werden an anderer und höherer Stelle gelöst.