Naher OstenDramatischer Hilferuf

Hilfswerke verweisen auf die dramatische Lage der Bevölkerung im Gaza-Streifen, internationale Medien warnen vor dem Hungertod ihrer Mitarbeitenden. Deutschland sollte die Aufrufe ernst nehmen.

Porträt Benjamin Lassiwe
Benjamin Lassiwe, ständiger Mitarbeiter der Herder Korrespondenz© Ralf Zöllner

Es ist ein Aufschrei, wie es ihn in jüngerer Zeit so nicht gegeben hat: Die britische BBC, die französische Agence France Press (AFP), die US-Amerikanische Associated Press (AP) und die Wirtschaftsagentur Reuters fordern Israel auf, die Grenzen zum Gaza-Streifen zu öffnen. Man habe Angst vor dem Hungertod der dortigen Journalisten, den „Augen und Ohren der Welt in Gaza.“

Nun ist es nicht so, dass Journalisten nicht aus Kriegen und internationalen Krisengebieten berichten würden. Im Gegenteil: Oft riskieren sie dafür ihr Leben. Das Netzwerk „Reporter ohne Grenzen“ berichtet von 24 Journalistinnen und Journalisten, die im laufenden Jahr weltweit in Ausübung ihres Berufs getötet wurden. Und von über 500 Kolleginnen und Kollegen, die sich wegen ihres Berufs in Haft befinden. Aber dass die größten Nachrichtenagenturen der Welt öffentlich vor dem Hungertod ihrer Mitarbeiter warnen, zeigt, wie dramatisch die Lage in Gaza derzeit ist. 

Solche Aufrufe sollten nachdenklich stimmen, auch in Deutschland. Denn so unverrückbar das Bekenntnis zum Staat Israel Bestandteil der deutschen Staatsraison ist, so richtig es ist, dass das Land nach dem Zweiten Weltkrieg als sicherer Ort für Jüdinnen und Juden gegründet wurde, und so grausam der Überfall der Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 war: Mehr als eineinhalb Jahre später läuft in Tel Aviv gerade etwas ganz gewaltig aus dem Ruder. Denn natürlich hat Israel das Recht zur Selbstverteidigung. Natürlich muss es alles dafür tun, die Geiseln zu befreien, die sich noch immer in der Gewalt der Terroristen befinden. Natürlich muss die Hamas final besiegt und als Terrororganisation zerstört werden.

Aber das Völkerrecht gilt auch im Krieg. Ein Aushungern einer ganzen Bevölkerung ist ein Kriegsverbrechen, unabhängig davon, wie viele Terroristen sich in ihren Reihen befinden. Sicher ist es falsch, dem demokratischen Staat Israel, wie es der Weltkirchenrat jüngst tat, Apartheid vorzuwerfen. Aber eine blinde Solidarität hilft in diesen Zeiten auch nicht mehr. Deutschland täte gut daran, die Aufrufe internationaler Organisationen zur Lage in Gaza ernst zu nehmen: Denn gerade, weil an der grundsätzlichen Solidarität Deutschlands mit Israel kein Zweifel bestehen darf, sollte Berlin auch eine Chance haben, in Tel Aviv gehört zu werden.

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