Kirche und KolonialismusNehmen und Geben

Vor hundert Jahren kamen sie in die Vatikanischen Museen – jetzt gehen 62 indigene Kunstwerke nach Kanada zurück. In dieser Reihenfolge ist das keine Großzügigkeit.

Isabel Barragán
Isabel Barragán, freie Journalistin© privat

Wann ist ein Geschenk ein Geschenk? In diesen Tagen ließ Papst Leo XIV. 62 indigene Artefakte nach Kanada bringen. Rund 100 Jahre waren sie Teil der ethnologischen Sammlungen der Vatikanischen Museen. Nun gelangten sie zu ihren Ursprüngen zurück: Die Stücke sind Kulturzeugnisse der First Nations, Inuit und Métis.

„Vatican News" kündigte die Übergabe als „Geschenk“ an. Es handle sich um einen „Akt des kirchlichen Teilens, mit dem der Nachfolger Petri der Kirche in Kanada diese Artefakte anvertraut, die von der Geschichte der Begegnung zwischen dem Glauben und den Kulturen der indigenen Völker zeugen“, so heißt es in einer Erklärung des Papstes. Stimmt das so?

Laut DWDS, einem Portal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, handelt es sich bei einem Geschenk um „freiwillige und uneigennützige, eine Gegenleistung ausschließende Übertragung des Eigentums einer Sache oder eines Rechts“.

Denkt man die Vorgeschichte der Rückgabe, mag man bezweifeln, ob die Entscheidung wirklich freiwillig war. Die Artefakte waren in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in den Vatikan gelangt, ursprünglich für eine Weltmissionarausstellung.

2022 reiste Papst Franziskus nach Kanada. Anlass waren Funde anonymer Kindergräber auf den Geländen früherer Residential Schools. Der Papst bat um Vergebung für das „Böse, das von so vielen Christen an den indigenen Bevölkerungen begangen wurde“. Zur institutionellen Verantwortung der Kirchen äußerte er sich nicht. Bei Indigenen stieß das vielfach auf Kritik.

2023 erfolgte ein neuer Anlauf: Im Jahr 2023 erklärte der Vatikan offiziell, dass die sogenannte „Entdeckungsdoktrin“ nicht zum katholischen Glauben gehört. Die Doktrin hatte über lange Zeit hinweg die koloniale Enteignung indigener Völker auf völkerrechtlicher Ebene legitimiert.

Zahlreiche indigene Gruppen sahen die Entscheidung des Vatikans als einen wichtigen Fortschritt hin zur Versöhnung. Allerdings äußerten sie auch Bedenken, dass diese symbolische Rücknahme nicht ausreiche. Einige indigene Vertreter forderten konkrete Maßnahmen und Entschädigungen.

Erst jetzt, im Jahr 2025, unternimmt der Vatikan einen solch konkreten Schritt zur Entschädigung. Die Übergabe hat einen historischen Anlass: Sie steht in Zusammenhang mit dem hundertjährigen Jubiläum der Vatikanischen Missionsausstellung. Eine Feier von Artefakten, die mitunter Zeugnis kolonialer Enteignung sind. Ein Geschenk übergibt man freiwillig. Die Übergabe der Artefakte erscheint mehr als eine Reaktion auf jahrelange Kritik.

Anzeige: Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein. Von Heiner Bielefeldt und Daniel Bogner
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