Was trägt die adventliche Freude wirklich, wenn sich die Zeit tränenreich dehnt? Eine theologische Spurensuche zwischen Paulus, Augustinus und Gegenwartsdiagnosen, die verdeutlicht: Weihnachtsfreude lebt aus der paradox anmutenden Nähe Gottes – schon angekommen, immer neu erwartbar, tröstlich selbst im Unvollendeten.

Freude im Advent: Es ist fast des Guten zu viel, dazu eigens noch aufgefordert werden zu müssen. Denn Freude im Advent, das ist Vorfreude auf ein Fest, das sich an der Gewissheit freuen kann: Gott ist in der Geburt des Jesus von Nazareth bereits leibhaftig in die Welt gekommen. Er bleibt uns nahe. Er kommt uns in einer mit Verstand und Herz nicht zu fassenden Intensität nahe. Nähe und Gott in Christus, das gehört so intim zusammen, dass Paulus - das Griechische machts möglich - die beiden Elemente "der Herr" und "nahe" unmittelbar zusammenrücken kann. Schon ein es verbindendes "ist" wäre des Abstands zu viel.

In dieser engsten Verbindung von Nähe und Christus, die von allen dazwischentretenden Verben befreit, eröffnet sich wiederum eine Variationsbreite einer den versöhnenden Schutz des eigenen Lebens vergewissernden einzigartigen Intimität, die hier nur markiert werden kann. Christus ist nahe, kommt nahe, und - für Paulus damit konsequent verbunden - er wird in einer dann nicht mehr zu überbietenden Intensität seiner Präsenz wiederkommen.

Vorfreude auf die Gottesbegegnung

Es geht um eine Gottesbegegnung in einem Maß von Innerlichkeit, die mein eigenes Selbstverhältnis heilsam überbietet. Gott kommt Menschen, kommt mir derart nahe, dass er mit mir auf eine viel innerlicheren Weise befasst ist, als ich selbst das je sein könnte. Deus intimior intimio meo, wie Augustinus in seinen Confessiones dem weiteren Nachdenken über das Weihnachtswunder mit auf den Weg gab. Freude ist deshalb, christlich gesehen, noch viel mehr als ein "schöner Götterfunken", der aus Einsicht heraus Herz, Sinne und Verstand packt: Gott als elementarer Hoffnungsträger ist in uns selbst zur Stelle.

Deshalb ist der Mensch, das mag gerade in diesen Zeiten eine entscheidende Ansage sein, anders als im Chorlied der Antiogene nicht pantoporos aporos, auf allen Wegen ausweglos unterwegs, sondern allenthalben (pantote), "allewege", wie Martin Luther fein übersetzt hat, ein Mensch, der sich herzhaft freuen kann, weil ihn Gott von dem Mittelmaß seiner Selbstlast und aller gänzlich überflüssigen narzisstischen Kränkungen von innen heraus befreit hat. Wenn der Mensch dessen doch bloß bis in die Repräsentationsreihen der christlichen Kirchen greifbar gewahr würde! Advent, Vorfreude auf das Fest, das dies feiert. Diese Vorfreude hat das Zeug, die schönste aller Freuden zu sein. Insofern stimmt: Vorfreude ist die schönste Freude. Allenthalben, allewege.

Freude trotz zeitlicher Zermürbung

"Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen", meinte allerdings der Fuchs in Saint Exuperys Kleinem Prinz:

"Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll".

Das Zeitlich Unbestimmte einer Ankunft zermürbt die Vorfreude und mit ihr am Ende die Freude. Überhaupt hat Hans-Georg Gadamer vor der Vorfreude ausgehend vom Topos der Entbehrung als einer unsicheren Kantonistin gewarnt.

"Das Erwartete ist als erfreulich vermeint auf Grund dessen, daß sich das Dasein in das Erwartete hineinbirgt, in ihm als sich darauf freuend mitenthüllt ist. So kann sich die Vorfreude über die Erfreulichkeit auf Grund der gegenwärtigen Befindlichkeit täuschen. Die gegenwärtige Entbehrung steigert die Vorfreude auf das Entbehrte und Erwartete über das Maß dessen", was überzeugend erscheint.

Diese phänomenologische Einordnung der Vorfreude arbeitet mit der Figur des "schon jetzt" und "noch nicht". Das Dasein muss sich dabei proaktiv in das Erwartete hineinbegeben, hineinbergen, wobei durch diese Aktivität für das Dasein identitätsstiftend wirkt, indem es in der Vorfreude im Erwarteten mit enthüllt wird, sich also etwas (Entscheidendes) sich von ihm zeigt. Enttäuschung tritt ein, wenn das Entbehrte sich in dem was, dann in Erfüllung tritt, gar nicht so zeigt, wie erwartet, oder aber sich ganz anders zeigt, oder nochmals ganz anders schlimmstensfalls gar nicht zeigt.

Weihnachtsfreude im Modus des "schon jetzt"

Das alles wirft nun ein aufklärendes Licht auf die Weihnachtsfreude im Advent, auf die Freude, zu der der Apostel Paulus ermuntert. Und es wirft auch ein aufklärendes Licht auf die Dynamik von Vorfreude und Freude im Weihnachtsfest. Eine Person, die die Adventsvorfreude teilt, hat nicht mit einem zeitlich Unbestimmten zu kämpfen. Die Weihnachtsfesttage treten mit einer geradezu unbeirrbaren zeitlichen Bestimmtheit ein und die Aufregung und Vorfreude kann sich insofern mit jeder im Adventskalender geöffneten Tür munter vor sich hinsteigern, ohne Gefahr zu laufen, durch ein Nichteintreten des Erfreulichen enttäuscht zu werden.

Das ist das eine. Das andere und durchaus Bemerkenswerte ist dies: Die Vorfreude entsteht nicht aufgrund eines Entbehrten. Gefeiert wird die Ankunft Jesu Christi, der schon in die Welt gekommen ist, bzw. in mir angekommen ist. In meiner Vorfreude muss sich nicht das Dasein in das Erwartete hineinbergen, sondern umgekehrt ist das Erwartete dem Dasein längst schon zuvorgekommen und ist in dem Erwarteten selbst geborgen.

Weihnachtsfreude stellt sich insofern ein im Modus eines "schon jetzt" und "dann erst recht" und "immer wieder", weshalb dem immerhin von Friedrich Silcher vertonte Weihnachtslied "Alle Jahre wieder" durchaus etwas abzugewinnen ist. Alle Jahre wieder, und doch schon präsent und immer wieder neu kommt Christus, und nicht nur "nieder", was der Reimnot auf "wieder" geschuldet sein dürfte. Da hat am Ende ein anderer von Paul Gerhardt gefundene Reim - "So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden" - die Pointe der Weihnachtsfreude deutlich präziser getroffen. Und der ob dieser Betrachtungen etwas unruhig werdende Fuchs aus Saint Exupéry Kleinem Prinzen mag dann doch beruhigt von dannen ziehen. Denn durch die Verlässlichkeit von Vorfreude und Ankunft und Angekommensein dürfte das Weihnachtsfest dessen Forderung "Es muß feste Bräuche geben" allemal einlösen.

Anspruchsvolle pastorale Aufgaben

Freilich bleiben die mit dem Weihnachtsfest verknüpften pastoralen Aufgaben. Sie bleiben extrem anspruchsvoll, weil gerade auch an Weihnachten geweint wird. Das Weihnachtsfest ist bei aller Freude kein Fest, das die Tränen, die an diesem Tag geweint werden, ignorieren darf. Gott selbst tut ja auch beileibe "nicht so, als gäbe es nichts zu weinen", wie Eberhard Jüngel einmal in einer Weihnachtspredigt exponiert hat. "Doch das ewige Licht" spiegele und breche "sich in diesen Tränen". In diesem Licht, so fuhr er fort, "denke ich mir, … werden … alle Tränen, die auf Erden geweint worden sind, glänzen und leuchten, so als wären sie Gottes Perlen und Edelsteine", was zu den "merkwürdigen Schätze[n]" des Weihnachtsfestes zähle, die bei Gott schwer ins Gewicht fielen. Für diese Tränen gilt allemal: ho kyrios eggus.

Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe, in der Perspektive der Dynamiken einer so verstandenen Weihnachtsfreude die Pastoralenzyklika Gaudium et spes weiter phänomenologisch auszubuchstabieren? Und wäre es nicht an der Zeit, den beeindruckenden Cantus firmus des ersten Satzes dieser Konstitution noch viel eindeutiger und stärker zu einer tatsächlichen Konstitution der Kirche werden zu lassen und sie in Wort und Wahrheit mit einer noch ganz anderen von der Weihnachtsgewissheit geprägten Intensität zu leben und auszugestalten?

"Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände."
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