Psalm 49 – Nur Gott kann vor dem Tod errettenDer Psalter als Buch des Messias

Arme sterben früher als Reiche, die sich nicht dieselbe medizinische Behandlung leisten können. Kann man sich vom Sterben freikaufen?

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© Jessica Mangano auf Unsplash

Der heute zu betrachtende Psalm 49 ist eine weisheitliche Mahnrede an die Menschheit (V. 2) zum Thema Tod. Der Dichter setzt sich mit einem Sprichwort auseinander (V. 5). Die Tora des Mose sieht in bestimmten Fällen vor, dass statt eines Todesurteils eine Strafzahlung als Sühneleistung möglich ist, sich also jemand vom Sterben freikaufen kann:

[Wenn ein bekanntermaßen aggressives Rind einen Menschen tötet,] "dann soll man das Rind steinigen, und auch sein Eigentümer muss sterben. Will man ihm stattdessen eine Sühneleistung auferlegen, soll er als Lösegeld für sein Leben so viel geben, wie man von ihm fordert" (Ex 21,29-30).

Auf dem Hintergrund einer korrupten Justiz entstand so das resignierte Sprichwort "Der Reichtum eines Mannes ist das Sühnegeld (Lösegeld) für sein Leben, der Arme jedoch hört keine Zahlungsaufforderung (wörtl.: Drohung)." (Spr 13,8). Der Dichter von Ps 49 will dieses Sprichwort auf seine Wahrheit abklopfen. Können Reiche sich vom Sterben freikaufen? Der Psalm beginnt mit einem ausführlichen Höraufruf (V. 2-5), der passenderweise vom Wort "Ohr" in V. 2 und 5 gerahmt ist. Das Wort "Mensch" in V. 3 kehrt in einem Kehrvers V. 13 und 21 wieder. Es rahmt also das Gesamtgedicht und teilt es in drei Strophen: I. Höraufruf (V. 2-5); II. Gegen falsche Furchtlosigkeit (V. 6-13): Nichts kann vom Sterben loskaufen; III. Für richtige Furchtlosigkeit: Nur Gott kann vom Tod loskaufen.

2 Hört dies, alle Völker, nehmt’s zu Ohren, alle Bewohner des Verweilorts,
3 sowohl Menschenkinder wie Herrenkinder, zugleich Reicher und Armer!
4 Mein Mund soll Weisheitliches reden und das Murmeln meines Herzens sei Einsichtsvolles.
5 Ich will neigen einem Sprichwort mein Ohr, aufschließen mithilfe der Tragleier mein Rätsel.

"Warum sollte ich mich fürchten in Tagen des Unglücks?"

Der Psalmist wendet sich an alle Menschen, weil das Sterben alle angeht, nicht nur Israeliten. Hängt die Dauer des Verweilens auf Erden (dem "Verweilort") davon ab, ob einer gewöhnlich oder mächtig ist, arm oder reich? Der Dichter will ein entsprechend lautendes Sprichwort, das Rätsel aufgibt, prüfen, das Rätsel auflösen. Das Sprichwort wird nicht zitiert, lässt sich aber aus V. 6 erschließen:

6 "Warum sollte ich mich fürchten in Tagen des Unglücks,
wenn die Schuld meiner (Fehl-) Tritte mich umstellen will?"
7 (So sagen) die da vertrauen auf ihr Vermögen
und mit der Fülle ihres Reichtums prahlen wollen.

Mancher glaubt, für Geld könne man sich alles kaufen und nötigenfalls sogar bei Gott, dem ewigen Richter, sich mit einer Spende für religiöse und mildtätige Zwecke von der Verantwortung für eigenes Fehlverhalten freikaufen, um Konsequenzen zu vermeiden. Die V. 8-9 nehmen nun Bezug auf die oben erwähnte Bestimmung der Tora, fallweise könne ein Todesurteil gegen eine Geldzahlung ausgesetzt werden.

8 Ein Bruder kann gewiss nicht auslösen so einen Herrn,
nicht geben Gott das Sühnegeld für ihn!
9 Und wäre auch noch so wertvoll der Lösepreis für ihr Leben,
er wird es sein lassen müssen auf ewig.
10 Und sollte er leben noch und noch auf Dauer,
dass er nicht sehen müsste die Grube?
11 Doch (muss er)! Er kann ja sehen: Weise müssen sterben,
zugleich werden Dummkopf und Rindvieh zugrunde gehen
und anderen ihr Vermögen hinterlassen.

Die von der Tora vorgesehenen Ablösezahlungen schieben das sonst fällige Todesurteil im Einzelfall auf, aber irgendwann stirbt auch dieser Betroffene. Für immer kann sich keiner vom Sterben freikaufen oder freikaufen lassen. Das Grab bleibt keinem erspart. Schlaue und Dumme, alle sterben irgendwann. In den Tod kann keiner sein Vermögen mitnehmen. Es würde ihm auch nichts helfen. Das Sprichwort, der Reichtum eines Mannes sei ein Lösegeld für sein Leben (Spr 13,8) stimmt also allerhöchstens für eine aufschiebende Wirkung der Zahlung. Dauerhaft kann sich niemand freikaufen. Letztlich trifft das Sprichwort nicht zu.

12 Ihre innere (Einstellung) ist: Ihre Häuser seien auf ewig,
ihre Wohnungen für Generation um Generation;
sie bekannten mit ihrem Namen Ländereien.
13 Aber der Mensch mit (seinen) Wertsachen kann niemals bleiben,
er ist schon das Gleiche geworden wie Vieh, das vernichtet ist.

Trügerische Selbstsicherheit und falsche Furchtlosigkeit

Sie erwerben Anwesen und bauen Paläste, als könnten sie für immer hier bleiben. Der Dichter spielt mit dem Wort "ihre innere Einstellung" (qirbam), das hebräisch klingt wie "ihr Grab" (qibram) und "Häuser auf ewig" klingt wie "Ewigkeitshaus" – ein hebräischer Ausdruck für den Friedhof. Sarkastisch sagt er damit: Eure wirkliche Dauerbleibe sind Grab und Friedhof, nicht eure Paläste, mit denen ihr glaubt, euch auch noch Ewigkeitsdenkmäler zu errichten, obwohl sie nur daran erinnern, dass ihr mal existiert habt und jetzt nicht mehr da seid. Der Mensch mit all seinem Besitz, Vermögen und Können, kann sich keine ewige Dauer verschaffen. Obwohl der Mensch dem Tier an Wert und Würde überlegen ist, im Todesgeschick ist er den Tieren gleich. Die Einstellung, mit Geld könne man dem Tod entgehen und sich das Leben kaufen, zeugt von trügerischer Selbstsicherheit und falscher Furchtlosigkeit. Von der hatte die zweite Strophe gehandelt (V. 6-13).

Es gibt aber auch eine gute, begründete Furchtlosigkeit. Aber die gründet sich nicht auf Geld, sondern auf Gott. Er kann dem Tod entreißen und Leben geben. Davon handelt die dritte Strophe (V. 14-21):

14 Das ist der Weg derer, die (nur) Muskeln haben,
und hinter ihnen her (gehen), die an ihrem Mundwerk gefallen haben:
15 Wie die Schafe, die sich für die Unterwelt gelagert haben, wird der Tod sie weiden.
Da haben Rechtschaffene diese schon überwunden zum Morgen hin.
Jener Gestalt aber ist für das Aufbrauchen durch die Unterwelt – wohnungslos.

Die Selbstsicheren, Muskelprotze und Großschwätzer, und all ihre Bewunderer gehen den Weg in den Tod wie alle anderen auch. Dass sie sich sicher wähnten und dem nicht ins Auge schauten, ändert daran nichts.

Nicht Gott wird sie weiden auf grüner Au (Psalm 23), sondern der Tod in der düsteren Unterwelt. Im Unterschied zu diesen haben rechtschaffene Leute in der Hoffnung auf Gottes rettendes Gericht ("am Morgen", vgl. Ps 5,4; Ex 14,24) den Tod und die Unterwelt schon überwunden. Der Dichter scheint hier andeuten zu wollen, dass die, die auf Gott hoffen, eine Möglichkeit haben, den Tod zu besiegen. Dagegen die Schwätzer und Selbstsicheren, die glaubten, sich mit ihren Palästen Wohnungen für immer bauen zu können (V. 12), bleiben wohnungslos in der Unterwelt und verwesen dort.

16 Jedoch Gott wird auslösen mein Leben (hebr. "Hals") aus der Hand der Unterwelt; ja, er wird mich aufnehmen.

Geld kann nicht vor dem Tod retten

Was ein Mensch mit all seinem Geld nach V. 8-9 nicht kann, sich dauerhaft vom Tod freikaufen, das kann Gott. Mag die Unterwelt mit ihrem Würgegriff den Beter am Hals festhalten, Gott kann ihn daraus befreien. Der Psalmist formuliert das nicht als allgemeine Wahrheit, sondern als persönliches Glaubensbekenntnis für sich. Gott kann ihn "aufnehmen", wie er einst Henoch in Gen 5,24 zu sich entrückt hat. Gott kann ihn aus dem Tod wieder heraufholen. Denn sterben müssen nach V. 6-13 alle. Der Mensch kann keinen Lösepreis "geben", um nicht sterben zu müssen (V. 8), aber Gott kann einen Menschen "nehmen", aufnehmen bei sich. Daraus folgt nun eine richtige Furchtlosigkeit, zu der er raten kann:

17 Du musst dich nicht fürchten, wenn reich wird so ein Herr,
wenn sich vervielfältigt die Herrlichkeit seines Hauses.
18 Denn im Tod nimmt er all das nicht mit.
Nicht wird hinabsteigen hinter ihm her seine Herrlichkeit.
19 Wenn er auch zu Lebzeiten seinen Gierhals preisen mag:
"Und sie loben dich, weil du dir’s gut gehen lässt!"
20 muss er doch hineingehen zur Generation seiner Väter,
die auf Dauer nicht sehen können das Licht.
21 Der Mensch mit (seinen) Wertsachen, der nicht einsehen will,
er ist schon das Gleiche geworden wie Vieh, das vernichtet ist.

Der Reiche hat manchen Vorteil im Leben, wie das Sprichwort Spr 13,8 sagt, aber sein Leben erkaufen kann er nicht. Mag er glauben, er könne sich auf Erden eine Bleibe für Generationen schaffen (V. 12), muss er doch hinab zur Generation seiner Väter ins Totenreich. Der Kehrvers 21 nimmt V. 13 mit einer kleinen Variation wieder auf: Statt "kann niemals bleiben (hebr. bal jalin) heißt es jetzt "der nicht einsehen will" (hebr. lo jabin) – b und l werden einfach vertauscht. "Der Mensch hat keine Dauer wie das Tier auch" sagte V. 13, V. 21 variiert: "Der Mensch, der das nicht kapiert, ist wie ein Tier." So zeigt der Dichter, dass Geld trotz allem letztlich nicht vor dem Tod retten kann. Wer sich seines Vermögens rühmt, ist auf dem Holzweg. Dagegen ist wirkliche Zuversicht angesagt für den, der auf Gott vertraut, denn Gott kann retten.

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