Unser heute zu betrachtender Psalm 47 besteht aus zwei Strophen. In zwei Anläufen werden alle Völker, die ganze Menschheit aufgefordert, den Gott Israels als den allein wahren Gott anzuerkennen und zu feiern. Damit knüpft Ps 47 nahtlos an Ps 46 an, der die Nationen bereits aufgefordert hatte, in Israels Gott den allein wahren zu erkennen. Die beiden Strophen beginnen jeweils mit Imperativen (V. 2 und 7), die dann begründet werden ("denn" in V. 3 und 8). Die zwei Imperative der ersten Strophe und die fünf der zweiten sind zusammen sieben – die Zahl der Vollkommenheit und Vollständigkeit. Alle Völker werden zu allumfassendem Lob eingeladen. Die erste Strophe ist gerahmt durch die Wörter "schmettern" und "Schall":
2 All ihr Völker klatscht in die Hände, schmettert für Gott mit Jubelschall!
3 Denn der Herr ist der Höchste, ehrfurchtgebietend, Großkönig über die ganze Erde.
4 Er möge unterordnen Völker unter uns und Völkerschaften unter unsere Füße.
5 Er erwähle für uns unser Erbteil, den Stolz Jakobs, den er liebgewann.
6 Hochgestiegen ist Gott unter Schmettern, der Herr beim Schall des Schofar.
Der Psalm beginnt sofort mit einem universal-menschlichen Horizont: Alle Völker der Menschheit werden aufgefordert, den Gott Israels als ihren Gott, ihren Herrscher zu feiern. In-die-Hände-Klatschen gehört zum Ritual der Königseinsetzung:
Dann führte Jojada den Königssohn heraus und überreichte ihm den Stirnreif und das Bundeszeugnis. So machten sie ihn zum König, salbten ihn, klatschten in die Hände und riefen: Es lebe der König! (2 Kön 11,12)
"Spielt Gott, spielt, spielt unserm König, spielt!"
In Ps 46,10 hatte Gott den Menschen die Waffen aus den Händen genommen und universalen Frieden geschaffen. Nun sind diese Hände frei zum Feiern, zum Klatschen. Alle Völker sollen zusammenkommen zur Verehrung des einen Gottes. V. 3 begründet die Aufforderung an die Heidenvölker: Nicht die Hochgötter der Kanaanäer, El und Baal, oder der griechische Zeus Hypsistos ("der Höchste"), auch nicht der römische Jupiter Optimus Maximus, nur JHWH, der Herr, der Gott Israels ist "der Höchste" (hebr. äljon). Wie schon bei Ps 46 gilt auch hier: Die Sprache des Psalms ist für Angehörige aller Religionen verständlich. "Großkönig" ist ein König über Königen, der Herrscher eines Vielvölkerreichs aus kleineren Königtümern. So nannte sich der König von Assur "Großkönig", ebenso der König von Persien, der sich auch "König der Könige" titulierte. Die schon gar nicht mehr erwähnten Götter der Heidenvölker gelten nichts mehr, nur einer, der Gott Israels, soll Großkönig über alle Nationen sein.
In V. 4 taucht ein "Wir" auf. Es ist Israel. Gottes Volk lädt die Nationen ein, seiner Gotteserkenntnis und Gottesverehrung beizutreten. Die "Unterordnung" der Völker unter Israel könnte militärisch und politisch verstanden werden, muss aber nicht. Die militärisch von den überlegenen Römern unterworfenen Griechen sind dann doch philosophisch und wissenschaftlich zu Lehrmeistern der Römer geworden und haben sie sich intellektuell untergeordnet. Mit der Christianisierung Roms hat Israels Glaube religiös das mächtige Römerreich übernommen. Schon nach den Propheten soll Israel religiös "Licht der Völker", d. h. Lehrer der Nationen werden (Jes 42,6; 49,6). Die Waffen wurden ja schon in Ps 46,10 niedergelegt. Damit Israel seine Funktion als "Licht der Völker" wahrnehmen kann, bittet V. 5 Gott, die Erwählung "Jakobs" zu erneuern. V. 6 beschließt die erste Strophe und deutet mit dem "Aufsteigen" Gottes des Herrn den Titel "der Höchste" in V. 3: er ist im Lauf der Geschichte aufgestiegen zum Höchsten über alle Völker.
Die zweite Strophe wiederholt nun das Schema der ersten: Imperativfolge + "denn:
7 Spielt Gott, spielt, spielt unserm König, spielt!
8 Denn König über die ganze Erde ist Gott, spielt ihm einen Maskil:
9 "König geworden ist Gott über Nationen, Gott hat sich gesetzt auf seinen heiligen Thron.
10 Freiwillige Edle von Völkern haben sich versammelt als Volk des Gottes Abrahams,
denn Gott (gehören) die Schilde der Erde, sehr hoch hat er sich erhoben.
Israel als religiöser Lehrmeister der Nationen fordert diese auf, in die Königsproklamation einzustimmen. "Unser König" also Israels Gott, soll auch für die Heidenvölker "unser König" werden. "Denn", so sagt die Begründung ab V. 8, Israels ist durch die (Offenbarungs-) Geschichte zum Gott der ganzen Menschheit geworden. Ein "Maskil" ist vielleicht ein kunstvoll gedichtetes Lied oder ein Lied, das Einsichten vermittelt (sakal heißt "einsichtig sein"). Die Einsicht, die die Völker bekennen sollen, wird in dem Liedtext der V. 9-10 vorgegeben: Der Gott (unseres religiösen Lehrmeisters Israel) ist zum Gott über alle Heidenvölker geworden. Die Gottesherrschaft ist universal geworden. Alle Nationen können ins Reich Gottes eintreten.
Der eine Glaube eint die Völker
Ps 42,9 hatte von "deinem heiligen Berg" gesprochen; Ps 46,5 rückt noch näher: "die heiligste der Wohnungen des Höchsten"; Ps 47,9 rückt ganz nahe heran: "sein heiliger Thron". Freiwillig, nicht gezwungen kommen die Repräsentanten der Heidenvölker in V. 10, um wie Israel selbst, "Volk des Gottes Abrahams zu werden". Der eine Glaube eint die Völker. So wie "Jakob" am Ende der ersten Strophe in V. 5 für "Israel" steht, ist doch "Israel" der religiöse Beiname des Stammvaters (Gen 32,29; 35,10), so repräsentiert Abraham am Ende der zweiten Strophe in V. 10 die Universalität des Glaubens an den einen Gott. Für diese Universalisierung ist Israel erwählt nach der Abrahamverheißung aus Gen 12,1-3:
1 Der Herr sprach zu Abram: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.
2 Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.
3 Ich werde segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen.
Abraham steht für die Hinwendung der Heidenvölker zum wahren Gott, kommt er doch selbst aus einer heidnischen Vergangenheit in Ur in Chaldäa (Jos 24,2-3; Jdt 5,6-8) und hat als erster Heide zum wahren Gott gefunden, der auf ihn zukam. Diesem ersten Gläubigen sollen es nach Paulus alle anderen Heiden gleichtun (Röm 4,23-24).
Die Völkerabgesandten heißen in V. 10 "Edle", also "Adlige" und in V. 10 "Schilde" (wie Ps 89,19: "Schilde" = "Könige", die ihr Volk nach innen vor Verbrechern, nach außen vor Feinden beschützen). Sie heißen deswegen nicht "Könige", weil in diesem Psalm der Königstitel allein Gott vorbehalten bleiben soll. Wirklich König ist nur er. "(Gott) hat sich sehr hoch erhoben" ist das Schlussbekenntnis, mit dem V. noch einmal aufgenommen wird. Damit wird noch einmal der Titel "der Höchste" aus V. 3 ausgelegt: Im Leben Israels und der Menschheit hat sich der Herr als der Höchste erwiesen, wie auch Ps 97,9 noch einmal sagen wird: "Denn du, Herr, bist der Höchste über der ganzen Erde, machtvoll hast du dich erhoben über alle Götter".
Universaler Gott für alle Völker
Achtmal "Gott" und zweimal "der Herr" sind zehn Nennungen Gottes. Dabei wird der Eigenname JHWH ("der Herr") nur im Rahmen der ersten Strophe genannt (V. 2f.: Gott – der Herr; V. 6: Gott – der Herr). Das betont noch, dass er der Gott Israels ist. In der zweiten Strophe heißt er aber nur noch "Gott", womit unterstrichen wird, dass er jetzt universaler Gott für alle Völker ist.
Dasselbe Thema wird auch mit den Wörtern für "Volk" behandelt: Eingangs werden "alle Völker" zum Lob Gottes eingeladen. Dabei heißen sie nicht "Nationen", wie die Heidenvölker in der Bibel meist heißen, sondern eben "Völker", obwohl "Volk" sonst meist das Gottesvolk Israel meint. Man ahnt schon, dass alle Nationen "Volk" Gottes werden sollen. In V. 4 heißen sie erneut "Völker", dann aber "Völkerschaften" (im Hebräischen ein ganz anderes Wort). "(Heiden-)Nationen" heißen sie dann ausdrücklich in V. 9, "Völker" wieder in V. 10 und dann tatsächlich "Volk" im selben Vers – gerade so wie Israel selbst.
Ps 47 proklamiert die universale Königsherrschaft Gottes, das Reich Gottes für alle Völker, das dann auch Jesu Hauptbotschaft sein wird: Zuerst für Israel (Mt 4,17; 10,5) und schließlich durch Israel (die Zwölf) für alle Völker (Mt 28,16-20).
Augustinus kommentiert einst den Kreuzestitulus "Jesus von Nazaret, König der Juden" mit den Worten: "Alle Nationen glauben an den König der Juden: er regiert über alle Nationen, aber eben doch als König der Juden" (sermo 128,7; PL 38, 1086).