Unser heute zu betrachtender Psalm 45 ist ein Rätsellied über einen König und sein Verhältnis zu Gott und seiner Braut. Der Psalm hat sehr viele Berührungen mit dem Hohelied.
Das Gedicht besteht nach der Überschrift (V. 1) und einem Widmungsvers des Sängers (V. 2) aus zwei Hauptstrophen (V. 3-10, 11-16) und einem Schlusswort des Dichters an den König (V. 17-18). Nur in V. 2 und 18 kommt das Ich des Sängers vor. Das Gedicht gliedert sich wesentlich durch die Anrederichtung. Die maskuline Du-Anrede in den V. 3-10 wendet sich an den König. Die feminine Du-Anrede in den V. 11-13 wendet sich an seine Braut, die in den V. 14-16 nach wie vor Thema ist (3. Pers.). Die V. 17-18 sprechen abschließend noch einmal zum König. "Schön" in V. 3 und "Palast, erfreuen" in V. 9 rahmen die erste Strophe. Die zweite wird genauso mit "Schönheit" in V. 12 und "Freude, Palast" in V. 16 eingerahmt.
1 Für den Musikmeister: über Lotusblüten, von den Korachiten,
ein Maskil, ein Gesang von Liebesdingen.
"Dein Thron ist der Gottes, er ist für immer und ewig"
Die prosaische Überschrift kündigt mit "Liebesdingen" (jedidot) das Thema des Psalms schon an. Zugleich spielt das Wort an Salomos Beinamen Jedidja ("Liebling des Herrn") in 2 Sam 12,25 an. Salomo war bekannt als Dichter von Rätselliedern (Sir 47,13). Auch die Lotusblüte (EÜ und Luth noch traditionell: "Lilie") war ein Symbol für die Liebe (Hld 2,1.2.16) und die Wiederherstellung von Untergegangenem (Hos 14,6), hier: der Liebe zwischen Gott und seinem Volk.
2 Mein Herz sprudelte über von guter Rede, während ich (mir) sagte:
Meine Poesien sind für einen König! Meine Zunge war der Griffel eines flinken Schreibers.
Wissend, dass er für einen geheimnisvollen König dichtet, drängte es den Psalmisten, einen Text zu komponieren und sofort auch zu singen.
3 Du wurdest mit besonderer Schönheit ausgestattet, mehr als die Menschensöhne;
ausgegossen ist Anmut über deine Lippen. Darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit.
4 Gürte dein Schwert auf die Hüfte, du Held, (dazu) deine Pracht und deinen Prunk!
5 Und dein Prunk: Hab Erfolg! Fahr aus auf dem Wort der Wahrheit
und der Gerechtigkeit mit Milde, auf dass dich lehre Furchterregendes deine Rechte.
6 Deine Pfeile sind geschärft – Völker werden fallen unter dir –
mitten im Herzen der Feinde des Königs.
7 Dein Thron ist der Gottes, er ist für immer und ewig.
Ein Szepter der Geradheit ist das Szepter deines Königtums.
8 Du liebst Gerechtigkeit und hasst Unrecht.
Darum salbte dich Gott, dein Gott, mit Freudenöl mehr als deine Amtskollegen.
9 Myrrhe und Aloe, Kassia sind all deine Gewänder.
Aus Elfenbeinpalästen hat Saitenspiel dich erfreut.
10 Töchter von Königen sind in deinem Ehrengeleit,
Aufstellung nahm die Gemahlin zu deiner Rechten
in Goldgeschmeide aus Ofir.
Angesprochen ist der König. Die aramäische Bibelübersetzung identifiziert ihn direkt mit dem Messias. Er wird gepriesen für seine Schönheit, die von ihm ausstrahlt, und die Anmut seiner Rede. Im Messias hat sich Gott einen vollkommenen Menschen erwählt, auf dem sein Segen ruht (Mk 1,11). In den V. 4-5 soll sich der König ausrüsten für seine Amtsführung: als Richter und Feldherr, der sein Volk nach innen und außen verteidigt, soll er Schwert und Rüstung tragen. Sein "Kriegswagen" ist "das Wort der Wahrheit und der Gerechtigkeit mit Milde" – andere Waffen hat der Messias nicht. Sein Gericht vereint Wahrheit und Milde.
"Höre, Tochter, und sieh und neig dein Ohr"
Der Epheserbrief wird vom "Brustpanzer der Gerechtigkeit", "Helm des Heils", "Schild des Glaubens" und "Schwert des Geistes" reden (Eph 6,14-17). Das entnimmt er dem Propheten Jesaja, der in 59,17 von der Gerechtigkeit als "Brustpanzer" spricht und vom Helm des Heils. Das Leben des Messias und aller seiner Gläubigen ist ein geistlicher Kampf. "Dein Thron ist der Gottes" sagt V. 7 und setzt diesen König, den er immer von Gott unterscheidet, damit doch direkt neben Gott. Auch "Salomo setzte sich … als König auf den Thron des Herrn" (1 Chr 29,23). Die Herrschaft dieses Königs ist Gottesherrschaft. Der hebräische Satz klingt wie "dein Thron, o Gott, ist für immer und ewig". So hatte es schon die antike griechische Übersetzung verstanden, so versteht es der Hebräerbrief, der in 1,7-8 Psalm 45,7-8 zitiert und damit Jesus angesprochen sieht. Der Psalm rückt damit den Messias in den göttlichen Bereich. Das Konzil von Nizäa formulierte vor 1.700 Jahren ganz bibelgemäß: "eines Wesens (homoousios) mit dem Vater".
Mit der Ewigkeitszusage für den Thron und damit die Dynastie (Davids) steuert das Gedicht auf das Hochzeits- und Nachkommenschaftsthema zu. Dieser Gesalbte übertrifft alle irdischen Könige, sagt V. 8. Drei Düfte bestimmen das parfümierte Öl: Myrrhe, ein aromatisches Harz, das auch für das heilige Salböl am Tempel verwendet wird (Ex 30,23), sowie die Würzhölzer Aloe und Kassia. Mit Myrrhe und Aloe wird Jesus zum Begräbnis gesalbt (Joh 19,39). Myrrhe und Aloe haben auch aphrodisierende Wirkung und leiten ebenfalls zum Hochzeitsthema über (Hld 4,14). In V. 10 erscheint die Gemahlin des Königs, die ab V. 11 angesprochen wird.
11 Höre, Tochter, und sieh und neig dein Ohr
und vergiss dein Volk und dein Vaterhaus!
12 Und verlangt der König nach deiner Schönheit –
denn er ist ja dein Herr – so huldige ihm!
13 Und die Tochter Tyrus –
mit einem Geschenk werden sie deinem Angesicht schmeicheln,
die Reichsten eines (jeden) Volkes.
14 ganz Herrlichkeit (geht) die Königstochter nach drinnen,
aus Goldgewirktem ist ihr Kleid.
15 In Buntgesticktem wird sie geleitet zum König,
Jungfrauen hinter ihr her, ihre Freundinnen,
man lässt sie kommen zu dir (dem König).
16 Sie werden geleitet mit Jubel. Sie kommen in den Königspalast.
"Vergiss dein Volk und dein Vaterhaus" erinnert an die Berufung von Abraham und Sara durch Gott in Gen 12,1 (Deissler, Zenger). Die Gemahlin des Königs ist das Gottesvolk Israel (wie die aramäischen Übersetzungen des Alten Testaments direkt sagen). Durch diese Berufung wurde Israel Gottes Volk. Der Messiaskönig verlangt nach der Schönheit seines Volkes. Er ist für es Herr – eine Gottesanrede. Die sprichwörtlich reiche Handelsstadt Tyrus (Ez 27) kommt als Hochzeitsgast und sucht – stellvertretend für die Völkerwelt – die Gunst der mit dem König vermählten Braut.
Die Herrschaft des Messias wird ewig und universal sein
Die V. 14-16 schildern nun den Hochzeitszug der Braut in ihrer Pracht mit Gefolge, wie oben der König mit Pracht und Gefolge beschrieben worden war. Wie die Prinzessinnen aus anderen Völkern in V. 10, die zur Königin, dem Gottesvolk, hinzutreten, so mögen auch die "Freundinnen" aus V. 15 die Heidenvölker symbolisieren, die ebenfalls zum Gott Israels finden werden, wenn er den Bund mit seinem eigenen Volk Israel erneuert (Jes 60). Da das Wort für "Palast" auch "Tempel" bedeutet, ist hier die messianische Hochzeit dargestellt (Joh 2), durch die Gottes Eigentumsvolk wieder angenommen wird (Jes 62,4). Wenn der Messias sein Volk wiederhergestellt hat, werden auch Angehörige der anderen Nationen sich zum Gott Israels bekehren, die Völkerwallfahrt zum Tempel wird einsetzen (Jes 2,2-5) und Paulus kann wie ein Priester die Heidenvölker als Opfergabe zum Jerusalemer Tempel bringen (Röm 15,16; vgl. Jes 56,6-7).
Abschließend spricht das Ich aus V. 2, der Sänger des Psalms, wieder den König an:
17 An die Stell deiner Väter werden deine Söhne treten.
Du wirst sie als Fürsten einsetzen auf der ganzen Erde.
18 Ich will deinen Namen denkwürdig machen in der ganzen Generationenfolge.
Darum werden Völker dich loben für immer und ewig.
Die in V. 7 angesprochene Dauer des Thrones (Davids), die der Erzengel Gabriel gegenüber Maria wieder ansprechen wird (Lk 1,32-33) wird in V. 17 konkretisiert als Fortdauer der Dynastie. Dem zeitlichen Aspekt wird zugleich der räumliche beigefügt: Die Herrschaft des Messias wird ewig und universal sein. Mit V. 18 schließt der Sänger des Psalms den Rahmen mit der Widmung von V. 2.