Jan-Heiner Tück: Herr Bischof Varden, wir sind hier im Benediktinerkloster Pannonhalma, einem Gegen-Ort, wenn man so will, mit großer Bibliothek, mit geistlichem Leben. Welche Bedeutung haben Klöster wie Pannonhalma in den weithin säkularisierten Gesellschaften der Gegenwart?
Bischof Erik Varden: Ich denke, eine ganz grundlegende Bedeutung als Ort der Gastfreundschaft, des Gebets, des einfachen Daseins, der Kontinuität in Zeiten des Wandels. Wir befinden uns in einem Haus, das im Jahre 996 gegründet worden ist. Dass es überhaupt eine solche Institution gibt und geben kann im Europa von heute, ist unwahrscheinlich. Und ich denke, gerade das trägt zu einer gewissen Stabilität bei, die wir jetzt brauchen.
Tück: Sie haben die Situation in Europa angesprochen. Wir sind vor allem im Westen mit religionssoziologischen Daten konfrontiert, die uns zeigen, dass die religiöse Indifferenz zunimmt. Was ist, wenn die Menschen die Sehnsucht, von denen wir in Theologie und Kirche sprechen, gar nicht mehr verspüren, wenn diese Brücken zur Transzendenz gewissermaßen eingebrochen sind? Wie reagieren sie auf diese Herausforderung?
Varden: Also zuallererst möchte ich einen Kontrapunkt setzen, denn ich bin von diesen religionssoziologischen Daten überhaupt nicht überzeugt. Ich glaube, die religiöse Indifferenz verändert sich gerade im Moment. Ich sehe eine tektonische Bewegung im Gang. Ich denke da zuallererst an den Zusammenhang, in dem ich jetzt lebe und arbeite, an meine Wirkungsstätte in Skandinavien. Unsere Länder, Norwegen und Schweden ganz besonders, sind äußerst säkularisiert. Aber ich denke, wir dürfen sagen, dass bei uns die Säkularisierung jetzt zu Ende ist. Ganz einfach deshalb, weil es eigentlich nichts mehr zu säkularisieren gibt. Auch weil die Säkularisierung prinzipiell kein unendlicher Vorgang ist. Was ich bestätigen kann in dem, was ich lese, und bei den Menschen, denen ich begegne, ist gerade eine neue Sehnsucht und eine neue Suche nach Sinn, nach Kriterien, nach Gemeinschaft, nach Wahrheit. Dieses in manchen Kreisen verpönte Wort 'Wahrheit' darf man immer noch beim Namen nennen. Und die Leute wollen durchdachte und realistische Antworten, die von Menschen gegeben werden, die diese Sinn- und Wahrheitsangebote aus- und vorleben.
Die Tendenz ist deutlich und anhaltend wachsend: Die Jugend sehnt sich nach Substanz. Für leeres, gefühlsduseliges Gerede haben sie wenig Geduld, und das ist gut so.
Tück: Um Ihren Kontrapunkt zu den religionssoziologischen Erhebungen zur religiösen Indifferenz noch einmal zu kontrapunktieren: Soeben ist eine Studie vom "Pew Research Center" veröffentlicht worden, die feststellt: "Die Menschen nehmen seltener an Gottesdiensten teil. Die Bedeutung der Religion nimmt in ihrem persönlichen Leben ab. Die Zugehörigkeit zu einer Religion wird seltener." Dies soll gerade für die jüngere Generation auch in Nordeuropa gelten. Würden Sie dennoch davon ausgehen, dass das Sinnvakuum und damit die Suche nach religiösen Antworten wächst?
Varden: Ich hege für das Pew Research Center den allergrößten Respekt, muss aber sagen, dass die Aussage rein empirisch meinen eigenen Beobachtungen nicht entspricht. Nicht nur in Norwegen, sondern auch in anderen, von länger anhaltenden Säkularisierungsprozessen geprägten Ländern, stelle ich einen Zuwachs an religiösem Interesse bei Jugendlichen fest. Ich erfahre deren treue Teilnahme an gut vorbereiteten und sorgfältig gestalteten Gottesdiensten. Freilich rede ich von keinem Majoritätsphänomen; die Tendenz ist aber deutlich und anhaltend wachsend: Die Jugend sehnt sich nach Substanz. Für leeres, gefühlsduseliges Gerede haben sie wenig Geduld, und das ist gut so.
Vom getauften Agnostiker über Gustav Mahler zum Glauben
Tück: Sie haben in ihrem Buch "Heimweh nach Herrlichkeit" den eigenen Entwicklungsgang beschrieben: Als getaufter Agnostiker, der mit den Negativitäts- und Leidenserfahrungen des 20. Jahrhunderts konfrontiert wurde, sind Sie in eine gewisse Krise geraten, sind aber dann durch das Hören der Auferstehungs-Symphonie von Gustav Mahler neu auf die Spur gesetzt worden, den Sinnfragen so nachzugehen, dass sie im weiten Erinnerungsraum der Kirche eine Antwort finden. Können Sie sagen, was sie verstört hat, und wie dann ihr Weg in den Erinnerungsraum der Kirche verlaufen ist?
Vaden: Wie ich die Geschichte – notwendigerweise ein bisschen verkürzt – im Buch beschreibe, hat das mit einer Begebenheit zu tun, die mir mein Vater eines Tages beim Mittagstisch erzählte. Mein Vater war Tierarzt und er kam zurück von einem Besuch bei einem Bauern, den er gut kannte. Er wusste, dass dieser Bauer im Krieg in einem Lager gewesen war, und ist zu ihm gefahren. Das war ein Sommertag, es war heiß, der Bauer arbeitete draußen ohne Hemd und mein Vater sah dann die Narben auf seinem Rücken, Spuren der Gewalt. Darüber wurde aber nicht gesprochen, es gab auch nichts zu sagen. Der Bauer machte daraus überhaupt kein Drama. Mein Vater aber sah die Verbindung mit dem Gelebten und Erlittenen, von dem er nur gehört hatte, und erzählte das ganz einfach schlicht beim Mittagstisch. Das hatte ihn beeindruckt. Durch seine Geschichte wurde ich sehr gerührt. Ich war damals vielleicht acht oder neun Jahre alt. Ich hatte an der Geschichte des Krieges Interesse, aus familiären Gründen. Auch, ich bin 1974 geboren, lag das Kriegsende noch nicht so weit zurück. Der Krieg und seine Folgen spielten immer noch eine gewisse Rolle in unserer Gemeinde, in unserer Gesellschaft. Aber das, was ich in Filmen, zu einem gewissen Grad auch in Büchern erfahren hatte, war nun verkörpert gegenwärtig in einem Mann, den ich persönlich nicht kannte, aber durchaus hätte kennenlernen können. Und dass das Leiden, das Unrecht, das Trauma so nahe war, das war schon ein Trauma für mich – und hat eine innere Wunde verursacht, die dann näher untersucht und geheilt werden musste.
Du bist nicht verloren oder verdammt, für immer ein Fremder und ein Wanderer auf der Erde zu sein. Irgendwo, irgendwie wartet ein definitives Zuhause auf dich und jemand steht da am Fenster und winkt ...
Tück: Sie beschreiben dann auch, wie sie Zeugenliteratur lasen, Primo Levi, Elie Wiesel und andere. Man könnte meinen, je mehr man sich mit den ausgeklügelten und perfiden Verbrechen des 20. Jahrhunderts befasst, je mehr und tiefer man einsteigt in die Zeugnisse der Überlebenden, umso mehr wird man mit dem Sinnvakuum konfrontiert, das eine Sogwirkung entfalten kann. Es würde da eigentlich näherliegen, jetzt in eine Philosophie des Absurden oder in ein nihilistisches Denken abzudriften. Das ist bei Ihnen aber nicht so gewesen. Warum nicht?
Varden: Also, um ehrlich zu sein, dieser Tendenz war ich schon ausgesetzt und ich fühlte auch die Versuchung, dem nachzugeben. Ich war ja ein sehr junger Mann, 14, 15, 16 Jahre alt, aber der Begriff 'Weltschmerz' war für mich in diesen Jahren keine Floskel, sondern sehr real. Und ich musste, ja wollte diese Verstörung ernst nehmen. Und gerade in diesem Zusammenhang habe ich dann die Musik von Gustav Mahler kennengelernt - die Zweite Symphonie und dann ganz besonders den letzten fünften Satz, der ja einen Choral-Teil hat und großartig orchestriert ist. Er beginnt mit einer Evokation des 'Tohuwabohu' des Ursprungs, alles chaotisch. Dann lässt sich ein rhythmisches Muster spüren, dann ein melodisches Thema, dann kommt das Orchester, der Chor und schließlich singt eine Solistin. Sie singt einen von Mahler selbst geschriebenen Text: "Ich glaube, du warst nicht umsonst geboren, hast nicht umsonst gelebt, gelitten." Ich war zu der Zeit 15 oder 16 Jahre alt. So viel hatte ich auch noch nicht gelebt und gelitten, aber dieser Satz von Mahler, er hat all das an- und ausgesprochen, was in diesen Narben des Bauern körperlich und konkret da war, und er hat mit einer solchen offenbaren Plausibilität gesprochen. Und ich wusste einfach im Inneren: Das ist wahr! Darauf kann ich mich verlassen.
Tück: Das doppelte "nicht umsonst" in Mahlers Text trägt einen Verheißungsindex, der auf mehr verweist, wie es auch der Titel Ihres Buches anzeigt: Heimweh nach Herrlichkeit. Das kann die intensive Beschäftigung mit den Verwundungs- und Negativitätserfahrungen des Leidens ja auch bewirken, dass sie eine Hoffnung wider alle Hoffnung freisetzt, dass dieses Leiden eben überwunden werden kann. Die Rede vom Heimweh, um auf den Titel Ihres Buches zurückzukommen, setzt voraus, dass man weiß, woher man kommt, dass man ein Zuhause gehabt hat, das man verlassen oder sogar verloren hat. Das verlorene Zuhause wird jetzt nach vorne erinnert auf etwas hin, was die Situation, in der wir stehen, überwinden hilft. Wie lässt sich das "Heimweh nach Herrlichkeit" auf den Garten Eden, die paradiesische Anfangssituation, die wir verloren haben, und die himmlische Stadt, auf die wir zugehen, beziehen?
Varden: Der Garten Eden steht wohl vor allem für Gemeinschaft, harmonische Gemeinschaft zwischen Schöpfer und Geschöpf, und zwischen Geschöpfen, zwischen Mann und Frau, zwischen Mensch und Tier und zwischen Mensch und Gott. Und dass wir in uns eine verborgene Erinnerung von der Möglichkeit einer solchen Gemeinschaft tragen, das stelle ich regelmäßig pastoral bei anderen fest – und auch in mir selbst. Und deshalb denke ich, muss man die Sehnsucht sehr ernst nehmen. Ich bin beim Nachdenken über diese Fragen stark vom heiligen Athanasius von Alexandrien geprägt worden. Und seine Überlegungen im Traktat über die Menschwerdung Gottes gehen von einer kategorialen Differenz aus: er unterscheidet zwischen dem hedonistischen Drang des Menschen, dem Wohlsein, der Genusssucht, und eben der Sehnsucht. Genau auf diese Sehnsucht, die nach Athanasius wie eine Ruhe von außen hörbar und spürbar wird. In mir ruft plötzlich eine Stimme, die mir sagt: Komm bitte nach Hause! Aber ich weiß nicht, wo das ist. Aber dann trage ich in mir genau dieses Bewusstsein eines archaischen Daseins, einer archaischen Ordnung, die mir irgendwie sagt: Du bist nicht verloren oder verdammt, für immer ein Fremder und ein Wanderer auf der Erde zu sein. Irgendwo, irgendwie wartet ein definitives Zuhause auf dich und jemand steht da am Fenster und winkt ...
Das Unbehagen an der Immanenz und die Botschaft des "Mehr"
Tück: … und erwartet vielleicht sogar den Wanderer, dass er endlich ankomme. Nun ist Athanasius ein geistlicher Mensch gewesen, für den klar war, dass die Sehnsucht mit endlichen Gütern nicht gestillt werden kann, der ein Sensorium dafür hatte, dass es mehr gibt. Viele Menschen scheinen sich aber heute in einer wohltemperierten bürgerlichen Existenz einzurichten. Und scheinen ganz zufrieden zu sein mit dem, was sie haben und verspüren – ich komme nochmal auf die Religionssoziologen zurück, die ein Verschwinden dieser religiösen Sehnsucht diagnostizieren. Wie soll man hier ansetzen, um die Botschaft von diesem "Mehr" in Erinnerung zu rufen?
Varden: Ich finde, es kann konstruktiv sein, genau das Thema ‚Sehnsucht‘ zu berühren. Wonach sehnst du dich? In meiner Alltagserfahrung sind die Menschen nicht so zahlreich, die von sich sagen würden: "Ich habe schon alles, was ich mir wünsche." Dass der Mensch irgendwie einen Wunsch nach dem Grenzenlosen in sich trägt, zeigt sich ja auch in einem ganz säkularen Diskurs, neuerdings im Transhumanismus. Man sucht, wenn man mit dem Tod konfrontiert ist, nach Methoden, den Tod irgendwie technisch, digital, medizinisch zu überwinden. Das wäre ein Weg. Ich stelle aber fest, gerade jetzt bei jüngeren Leuten, dass sich die Einstellung verändert. Man kann in einem großen Wohlstand aufgewachsen sein, ohne materielle, vielleicht auch ohne allzu große menschliche Probleme, alles haben, was man sich wünscht und sich trotzdem sagen, das genügt nicht! Ich finde das beeindruckend. Für mich ist das neu, dass 16, 17-jährige Jugendliche auftauchen und fragen. Bei uns in Trondheim im Buchladen, im Dom oder bei mir im Büro und fragen: Worum geht das alles eigentlich? Warum existiere ich und was hat mein Leben für eine Bedeutung? Habe ich eine Signifikanz auf der Welt, die auch mein Empfinden überschreitet? Gibt es die Möglichkeit eines endgültigen Sinns? Hat Liebe einen Sinn? Hat meine Sehnsucht nach Liebe einen Sinn? Woran glaubt ihr eigentlich, wenn ihr euch zu Jesus Christus bekennt? Und ich finde, diese jungen Menschen verhalten sich oft ganz empirisch. Also sie sind nicht notwendigerweise von einem sturmvollen, inneren Erwachen motiviert. Aber sie sehen ihre Eltern, Onkel und Tanten an, die alles haben und komfortabel leben und trotzdem nicht wirklich glücklich sind. Und sie stellen sich dann ganz von selbst diese Fragen, die einen größeren Sinnhorizont aufreißen.
Der kirchliche Raum ist kein utopischer Raum. Und das Wachstum im Glauben und der persönlichen Reife setzt eine Selbsterkenntnis voraus, die im Realismus verankert werden muss.
Tück: Dieses "Unbehagen an der Immanenz" (Charles Taylor) nehmen auch andere bei der jüngeren Generation wahr. Zum einen, weil sie vielleicht nach einer langen Phase des Fortschritts von Technik und Wissenschaft, des wachsenden Wohlstands in einer Zeit der Krise aufwachsen, wo klar ist, es wird nicht immer so weitergehen, sondern möglicherweise wird es in Zukunft krisenhafter, schwieriger werden. Und zum anderen, dass eben Orientierungsfragen gegenwärtig durch die Angebote im digitalen Raum und anderswo nur unzureichend beantwortet werden, sodass ein neues Interesse an Religion erwächst. Das lässt mich fragen nach dem Erinnerungsraum der Kirche. Sie haben in dem Buch Heimweh nach Herrlichkeit von einer Lehrzeit des Erinnerns gesprochen. Ein paar Kapitelüberschriften mögen illustrieren, was mit diesem Erinnerungsraum gemeint ist, der hier aufgespannt wird durch Weisungen wie: "Gedenke, dass du Staub bist". "Gedenke, dass Du Sklave in Ägypten warst". "Denke an Lots Frau". Und dann ganz zentral, der eucharistische Auftrag: "Tut dies zu meinem Gedächtnis." Das sind alles Sätze der kirchlichen Erinnerungskultur, die Sie auch diesen jungen, Orientierung suchenden Menschen mit auf den Weg geben würden?
Varden: Ja, absolut. Und das tue ich auch. Und was wunderbar ist, dass die Kirche einen Raum bietet, der es uns ermöglicht, uns dem Leben zu stellen, wie es faktisch ist. Der kirchliche Raum ist kein utopischer Raum. Und das Wachstum im Glauben und der persönlichen Reife setzt eine Selbsterkenntnis voraus, die im Realismus verankert werden muss. Darauf hat ja die monastische Tradition immer bestanden. Die Inschrift auf dem Apollon-Tempel in Delphi "Erkenne dich selbst – Gnothi seauton" ist die Voraussetzung dafür, den anderen, den endgültig anderen als den Herrn zu kennen und anzuerkennen. Die Bibel bietet uns durch die Fragen, die sie an uns stellt, einen pädagogischen Weg des Wachstums, der wirklich zeitlos ist und von einer unmittelbaren Pertinenz ist, der uns hilft in dieser, wie Sie sagen, so prekären Welt. Und diese großen Gestalten der Erinnerung wie Mose, wie Lots Frau, wie die Jünger beim Abendmahl und dann nachher auf dem Weg nach Emmaus, die einsehen: Vergangenheit lässt auch Zukunft schauen. Und: Das Erinnern des Gewesenen hilft mir, das noch nicht Bekannte ohne Angst zu erkennen, und es hilft mir, in Bewegung zu bleiben, wo alles andere mich paralysiert.
Räume der Erfahrbarkeit von Weite
Tück: Das ist letztlich die Verschränkung der Zeitdimension, wie sie bei der Feier der Eucharistie vorkommt. Es gibt einerseits die Erinnerung an die Passion Christi, sein Leiden für uns, im signum rememorativum. Es gibt andererseits die präsentische Wirkung der Eucharistie, sie ist "signum demonstrativum", die Gnade gewährt und Gemeinschaft stiftet. Und sie ist schließlich "signum prognosticum", Vorgeschmack des himmlischen Hochzeitsmahls. Heimweh nach Herrlichkeit, das ist eine Art Erinnerung an die Zukunft, die alles das, was wir uns ausmalen, noch einmal überblendet und übersteigt …
Varden: Und ich denke, diese Perspektive, die, wie jetzt ausgedrückt, sublim, theoretisch, vielleicht sogar mystisch klingt, ist zur selben Zeit unmittelbar erkennbar für die, die am eucharistischen Mysterium teilnehmen. Und gerade deswegen bietet, um zu diesem Bild zurückzukehren, der kirchliche Erinnerungsraum, auch ganz konkret gesehen und verstanden, eine Möglichkeit zur Erkenntnis. Und zur neuen Erfahrung, die in unserer so oft so eindimensional gewordenen Welt einen Weg aufwärts und in die Weite weist.
Tück: Es ist übrigens interessant, dass Peter Handke mehrmals in seinem Werk die Kommunion ganz konkret beschreibt. Zum einen, dass die, die dort zur Kommunion gehen, ganz unterschiedlich sind. Er spricht vom "Erscheinen des Volkes" und ist erstaunt über "die Größe und die Kleinheit des Volkes, der Jugend und des Alters, der Schlauköpfe und der Schwachsinnigen, der Normalen und der Wahnsinnigen." Zum anderen aber wird hier eine Kultur der liebevollen Aufmerksamkeit und des Wartens wie von selbst praktiziert. Man lässt dem anderen den Vortritt. Es ist eine Unterbrechung der beschleunigten Lebenswelten. Man darf still sitzen und schweigen, ohne dass es peinlich wäre. Das sind wohltuende Gegenerfahrungen, die, wenn man so will, der Gegen-Ort Kirche ermöglicht. Ja, die auch eine Faszinationskraft entfalten können.
Varden: Das ist ein Gegen-Ort. Ähnliches haben mir meine Mitschwestern, die Trappistinnen von Trontheim in Norwegen, erzählt. Sie sehen regelmäßig, dass Leute in ihre Kirche auf einer kleinen Insel an der Westküste Norwegens kommen. Touristen oder Besucher oder Wanderer, die einfach still da sitzen und weinen. Nicht, dass sie notwendigerweise traurig sind … die Kirche ermöglicht ein Aufmachen innerer Räume, die sonst zu lange verschlossen bleiben.
Tück: Und der Wanderer, der "homo viator", hat es nötig, dass das Fenster immer wieder geöffnet wird, um den Vorschein der Heimat, also des Landes, auf das wir uns zubewegen: patria, im Blick zu halten ...
Varden: Absolut. Und das ist Hauptaufgabe der Kirche, diese Heimat, patria erscheinen zu lassen. Und zwar glaubwürdig.