Jetzt also auch noch ein Computerspiel. Der Spieler lenkt mit der Maus eine Kamera durch ein Stadion voller Pixelgesichter, immer auf der Suche nach einem ganz besonderen Paar. Wer die beiden erwischt, bekommt Punkte. Wer sie am schnellsten erwischt, den Highscore. Zahllose Menschen haben sich das Game heruntergeladen und teilen stolz ihren Punktestand auf den sozialen Medien.
Es ist die neueste mediale Ausschlachtung eines Skandals, der das Internet im letzten Monat im Sturm erobert hat und noch immer am Brodeln gehalten wird. Damals fing die Stadionkamera bei einem Konzert in Boston den Geschäftsführer einer Tech-Firma ein, in inniger Umarmung mit der – ebenfalls verheirateten – Personalchefin seines Unternehmens. Die beiden versuchten noch, sich vor den Blicken der Menge zu verstecken, doch es war zu spät. Der Videoclip landete im Internet und wurde zum viralen Hit, hunderttausendmale geteilt, kommentiert, weiterverschickt und parodiert. Auch die Medien waren eifrig mit dabei, von den größten Zeitungen der Welt bis hinunter zum öffentlich-rechtlichen Frühstücksfernsehen, wo ein giggelnder Reporter Passanten das Video unter die Nase hielt: „Was denkst du darüber?“
Juristisch scheint die Sache erledigt zu sein. Inzwischen haben beide, der Geschäftsführer und die Personalchefin, ihre Kündigung eingereicht. Ihre Familien haben sich, so liest man, in ihren Häusern verbarrikadiert, in der Hoffnung, dass der shitstorm vorübergehen möge. Doch das hält das Internet nicht davon ab, noch immer kübelweise Spott über die beiden auszugießen, das Skandal-Video in immer neuen Formen zu bearbeiten und nachzustellen. Wer sich in der Bibel auskennt, fühlt sich leicht an einen anderen Fall von Ehebruch erinnert. Damals war nur die Frau angeklagt – und sollte direkt zum Tode verurteilt werden (vgl. Joh 8,3ff.).
So archaisch uns diese Rechtsprechung erscheinen mag, die darunter liegenden Mechanismen haben sich seit 2000 Jahren offenbar nicht geändert. Zur perversen Logik einer Steinigung gehört es, dass die Täter aus der Menge heraus – quasi anonym – zuschlagen. Das ist heute nicht anders, auch wenn nicht mehr mit Steinen geworfen wird, sondern mit hämischen Online-Kommentaren. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass es wieder ein Ehebruch ist, der die Gemüter erhitzt. Im Gegensatz zu anderen Vergehen unserer Zeit, die viel mehr Menschen viel schlimmer betreffen, ist die Lage hier auf einen Blick zu durchschauen. Entsprechend leicht ist es, sich für einen Moment moralisch erhaben zu fühlen, indem man aus der Menge heraus das mediale Dauerfeuer gegen die beiden am Laufen hält.
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein“, ist Jesu Mahnung in der biblischen Geschichte (8,7). Es ist ein Satz, der so viel Macht hat, weil er für einen Moment die Verhältnisse umdreht. Weil es plötzlich nicht mehr um die einzelne Ehebrecherin geht, auf die sich alles eingeschossen hat, sondern um jeden Einzelnen. Jeder hat peinliche und, ja, auch unmoralische Dinge getan, von denen man froh ist, dass sie nicht vor einem gesichtslosen Massenpublikum gezeigt werden. Dieser Perspektivwechsel ist heute so wichtig wie damals, weil er hilft, im Sünder den Menschen zu sehen. Respekt und Menschlichkeit hat jeder verdient, auch – und vielleicht gerade – wo er schuldig wird. Ein radikaler Gedanke in einer digitalen Gesellschaft, in der so viele um jeden Preis perfekt wirken wollen.